Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Sie schrie auf, eine Zuckung ließ ihren Körper nach hinten schnellen; hätten die Männer sie nicht festgehalten, wäre sie mit ihrem Stuhl umgekippt. Dann beruhigte sie sich, legte den Kopf schief und starrte auf die Tischplatte. Einer sei hier, sagte sie. Dem lasse sein Onkel ausrichten, alles sei verziehen. Ein Sohn erwarte seine Mutter. Weiter sehe sie Bonaparte, den Teufel in Menschengestalt, wie er in der Hölle brenne. Furchtbare Lästerungen stoße er aus und wolle nicht bereuen. Sie drehte horchend den Kopf. Ihr Nachthemd stand bis unter die Brust offen. Ihre Haut glänzte feucht. Von einem anderen erblicke sie den Bruder, er sage, sein Tod sei natürlich und in der Ordnung gewesen, man solle nicht mehr nachforschen. Von einem anderen die Mutter. Sie sei sehr enttäuscht. Sein Werk werde ohne Bedeutung sein, sie wisse jetzt, daß er nur auf ihren Tod gewartet habe, um sich davonzumachen wie ein Herumtreiber, und in der Höhle damals habe er getan, als sehe er sie nicht. Dann sei da ein Kind, das seinen Eltern mitteilen lasse, es gehe ihm den Umständen entsprechend gut, die Halle sei groß, man fliege immerzu, und wenn man sich vorsehe, werde einem kein Schmerz zugefügt. Und eine alte Frau lasse sagen, sie habe kein Geld versteckt und könne nicht helfen. Das Mädchen stöhnte, alle beugten sich vor, aber es kam nichts mehr. Sie gab einen würgenden Laut von sich, dann hob sie den Kopf, löste mit einer leichten Bewegung ihre Hände aus dem Griff der Männer, zog ihr Nachthemd zurecht und lächelte verwirrt vor sich hin.

Na gut, sagte Gauß.

Vogt sah ihn erschrocken über die Tischplatte an. Er hatte sie jetzt erst bemerkt.

Auf ein Wort, sagte Humboldt. Er war blaß, sein Gesicht maskenhaft starr.

Faszinierend, sagte die schwarzgekleidete Frau.

Ein einmaliger Moment der Kommunikation zwischen den Welten, sagte Lorenzi. Alle sahen ihn vorwurfsvoll an, er hatte ohne italienischen Akzent gesprochen; eilig wiederholte er es, wie es sich gehörte. Das Mädchen schaute sich verlegen um. Gauß beobachtete sie aufmerksam.

Vogt fragte, ob sie ihm gefolgt seien.

Gewissermaßen, sagte Humboldt. Einer Bitte wegen. Ein Gespräch unter vier Augen. Er machte Gauß ein Zeichen, daß er bleiben solle, und ging mit Vogt hinaus in den Flur.

Er sei wegen seiner Großmutter hier, flüsterte Vogt. Niemand wisse, wo das Geld sei. Seine Lage sei nicht leicht. Ein Gentleman müsse seine Schulden bezahlen, komme, was wolle. Und da versuche er eben alles.

Humboldt räusperte sich. Er schloß ein paar Sekunden lang die Augen, als müßte er sich zur Ordnung rufen. Ein junger Mann, sagte er dann, der Sohn des Astronomen dort drüben, sei auf einer törichten Versammlung verhaftet worden. Noch sei Zeit, ihn einfach heimzuschicken.

Vogt strich über seinen Schnurrbart.

Man würde dem Land einen Dienst erweisen. Preußen sei viel an der Zusammenarbeit mit diesem Mann gelegen. Es sei im höchsten Interesse, ihn nicht zu verprellen.

Im höchsten Interesse, wiederholte Vogt.

Anderswo, sagte Humboldt, gebe es Orden für so etwas.

Vogt lehnte sich an die Wand. Was man diesen Leuten vorwerfe, sei keine Kleinigkeit. Eine zutiefst bedenk-liche Geheimversammlung. Zunächst habe man sogar geglaubt, der verabscheuungswürdige Verfasser der Deutschen Turnkunst habe selbst gesprochen. Nun scheine es gottlob, daß der Redner bloß einer der vielen Nachahmer sei, die unter seinem Namen das Land durchstreiften. Ein Eilbote sei jedenfalls unterwegs nach Freyburg, um für Gewißheit zu sorgen.

Die Pest der vorgetäuschten Identitäten, sagte Humboldt. Zwei Mitarbeiter von ihm, Daguerre und Niepce, arbeiteten an einer Erfindung, die Abhilfe schaffen werde. Dann werde die Obrigkeit offizielle Abbilder haben, und man werde sich nicht mehr als Berühmtheit ausgeben können. Er kenne das Problem gut, kürzlich erst habe in Tirol ein Mann monatelang auf Gemeindekosten gelebt, weil er behauptet habe, Humboldt zu sein und zu wissen, wie man Gold finde.

In jedem Fall, sagte Vogt, die Lage sei ernst. Et sage nicht, daß sich nichts machen lasse. Erwartungsvoll sah er Humboldt an. Aber leicht sei es nicht.

Et müsse nur ins Polizeigefängnis gehen und den jungen Mann heimschicken, sagte Humboldt. Der Name sei noch nicht aufgeschrieben. Keiner werde es erfahren.

Ein Risiko sei dabei, sagte Vogt.

Aber ein geringes.

Gering oder nicht, unter zivilisierten Leuten gebe es für so etwas Abgeltungen.

Humboldt versprach Dankbarkeit.

Die könne sich auf verschiedene Arten äußern.

Humboldt versicherte, daß er in ihm immer einen Freund haben werde. Auch sei er bereit zu jedem Gefallen.

Gefallen. Vogt seufzte. Da gebe es solche und solche.

Humboldt fragte, was er meine.

Vogt stöhnte. Ratlos blickten sie einander an.

Herrgott, sagte Gauß’ Stimme neben ihnen. Ob er denn wirklich nicht verstehe? Der Kerl wolle bestochen werden.

Vogt wurde bleich.

Gekauft wolle er werden, sagte Gauß ruhig. Das elende Bürschchen. Der kleine Dreckfresser.

Dagegen verwahre er sich, rief Vogt mit schriller Stimme. Das müsse er sich nicht anhören!

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