»Sie haben sich am Papier geschnitten«, bemerkte sie altklug und zog ein Bündel Zeichnungen heraus.
Der Zeichner blätterte zu einer neuen, leeren Seite vor und fuhr mit seinen Bleistiftzeichnungen fort, ohne dass er etwas von all der Aufregung mitzubekommen schien.
Scott untersuchte seinen Finger. Die Schnittwunde war schmal, aber erstaunlich tief. Mit einem kleinen Druckverband würde er die Verletzung schnell verarzten können, allerdings brannte sie höllisch. Während er auf den schmuddeligen alten Mann hinabblickte, überlegte Scott, wann er seine letzte Tetanus-Spritze bekommen hatte.
»Alles in Ordnung, Herr Doktor?«, fragte der Inder.
»Ist nicht weiter tragisch, es schmerzt nur ein bisschen.« Scott lehnte sich zu der übergewichtigen Studentin hinüber, die die Zeichnungen bereits durchblätterte. Trotz seiner Absicht, baldmöglichst nach Hause zu fahren, war sein Interesse durch die letzte Bemerkung Batemans erneut geweckt: Demnach bezogen sich einige der Zeichnungen auf aktuelle Nachrichtenmeldungen. Er schaute gespannt auf den Stapel Blätter, den das Mädchen Seite für Seite durchging.
Bateman hatte Recht gehabt. Viele der Skizzen waren recht makaber. In diesen Szenen schaufelten sich halb verrottete, Leichen schändende Ungeheuer aus Gräbern heraus, aufgedunsene Meereskreaturen grapschten aus veralgten Tiefen des Ozeans nach den Beinen ahnungsloser Badender, und irgendein großes, dunkles, wabberndes Etwas lauerte gierig unter dem Bett eines schlafenden Kindes.
Diese letzte Bildfolge erinnerte Scott an die nächtlichen Ängste, unter denen Kath bis vor kurzem gelitten hatte. Fast jede Nacht war sie zu völlig unchristlicher Stunde, um sich schlagend und schreiend, aufgewacht und hatte behauptet, irgendetwas sei unter ihrem Bett, irgendein schuppiges, feuchtes Wesen glibbere dort herum und greife nach ihren Zehen.
»Wie war's denn hiermit?«, unterbrach Scott seinen Gedankengang und hielt eines der Blätter mit der unversehrten Hand hoch. »Bestimmt erinnern Sie sich noch an die Dauerberichterstattung über das Flugzeugunglück der 747 in Uplands, ist ja noch nicht lange her.« Die Bilderfolge zeigte eine schnittige, riesige Boeing, die außer Kontrolle geriet, am Ende des Rollfelds hin und her schlitterte und, mit dem Bug voran, in einem angrenzenden Maisfeld in zwei lichterloh brennende Hälften zerbarst. »Sieht ganz so aus, als hätte Dr. Bateman Recht gehabt«, bemerkte er wie im Selbstgespräch.
Beeindruckt vertieften sich die Studenten in die Zeichnungen. Nach einer Weile schlug Scott vor, den Rest ohne ihn anzuschauen. Er sei schon spät dran. In seinen Gedanken war er bereits auf dem Heimweg.
Die Studenten wollten ebenfalls gern los. Sie dankten Scott für die Zeit, die er sich für sie genommen hatte, legten die Zeichnungen zurück in den Beutel und marschierten durch den Krankenhausflur davon. Dabei unterhielten sie sich angeregt über den seltsamen alten Mann und das vor ihnen liegende August-Wochenende.
Während Scott sich zum Gehen anschickte, bemerkte er aus dem Augenwinkel irgendeine Bewegung. Als er stehen blieb und sich umdrehte, sah er gerade noch, wie sich ein einzelnes Zeichenblatt aus der welken Hand des Künstlers löste. Scott bückte sich, um es aufzuheben; seine Neugier zwang ihn, sich den Inhalt genauer anzuschauen.
Auch bei diesen vier Cartoons ging es um eine Horrorgeschichte. Anfangs war eine einsame Gestalt in einem heruntergekommenen, von Spinnweben durchzogenen Zimmer zu sehen. Die Gestalt stand vor einem kunstvoll anmutenden Kamin, der die Form eines Löwenkopfs hatte, und hackte mit einer Axt die Holzbohlen des Fußbodens auf. Das letzte Bild zeigte, wie die Gestalt unter den Bohlen einen mumifizierten Leichnam entdeckte, dessen Herz von einem Messer durchbohrt war. Die toten Hände hielten irgendeinen rechteckigen Gegenstand fest an die Brust gedruckt.
Die herausragende Qualität der Bilder beeindruckte Scott. Was für ein Talent!