»Nicht nur die Japaner«, erwiderte Bohrmann. »Alle Welt würde es am liebsten abbauen. Aber das gestaltet sich schwierig. Als wir die Hydratbrocken aus knapp achthundert Metern nach oben holten, lösten sich auf halber Höhe Gasblasen aus den Brocken. Was wir schließlich an Deck brachten, war immer noch viel, aber nur noch ein Teil dessen, was wir unten rausgebrochen hatten. Ich sagte ja, Methanhydrat wird schnell instabil. Würde man die Wassertemperatur in fünfhundert Meter Tiefe nur um ein Grad erhöhen, könnte es geschehen, dass alles dortige Hydrat auf einen Schlag instabil würde. Also haben wir schnell zugegriffen und die Brocken in Tanks mit flüssigem Stickstoff gepackt, wo sie stabil bleiben. Kommt mal ein Stück hier rüber.«
»Er macht das gut«, bemerkte Johanson, während Bohrmann mit der Schülergruppe zu einem Regal aus grob geschweißten Stahlrahmen ging. Behältnisse unterschiedlicher Größe stapelten sich darin. Zuunterst standen vier silberfarbene, tankartige Gebilde. Bohrmann wuchtete eines davon hervor, streifte Handschuhe über und öffnete den Deckel. Es zischte. Weißer Dampf trat aus dem Innern. Einige der Schüler traten unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Das ist nur der Stickstoff.« Bohrmann griff in den Behälter und förderte ein faustgroßes Stück zutage, das aussah wie ein verschmutzter Eisklumpen. Nach wenigen Sekunden begann der Klumpen leise zu zischen und zu knacken. Er winkte das Mädchen zu sich heran, brach ein Stück von dem Klumpen ab und reichte es ihr.
»Nicht erschrecken«, sagte er. »Es ist kalt, aber du kannst es unbesorgt in die Hand nehmen.«
»Es stinkt«, sagte das Mädchen laut.
Einige der Schüler lachten.
»Richtig. Es stinkt nach faulen Eiern. Das ist das Gas. Es entweicht.« Er zerbrach den Brocken in weitere Stücke und verteilte sie. »Ihr seht, was passiert. Die Schmutzstreifen im Eis sind Sedimentpartikel. In wenigen Sekunden wird nichts mehr übrig sein als diese paar Krümel und eine Wasserpfütze. Das Eis schmilzt, und die Methanmoleküle brechen aus ihren Käfigen hervor und verflüchtigen sich. Man kann es auch so beschreiben: Was eben noch ein stabiles Stück Meeresboden war, verwandelt sich binnen kürzester Zeit in nichts. Das ist es, was ich euch zeigen wollte.«
Er machte eine Pause. Die Schüler hatten ihre ganze Konzentration auf die zischenden, kleiner werdenden Brocken gelenkt. Anzügliche Kommentare über den Gestank gingen hin und her. Bohrmann wartete, bis sich die Brocken aufgelöst hatten, dann fuhr er fort:
»Soeben ist aber noch etwas passiert, das ihr nicht sehen konntet. Und es ist entscheidend für den berechtigten Respekt, den wir vor Hydraten haben. Ich sagte vorhin, dass die Eiskäfige in der Lage sind, Methan zu komprimieren. Aus jedem Kubikzentimeter Hydrat, den ihr in Händen hattet, sind soeben 165 Kubikzentimeter Methan freigesetzt worden. Wenn das Hydrat schmilzt, verhundertfünfundsechzigfacht sich also das Volumen. Und zwar schlagartig. Was bleibt, ist die Pfütze in eurer Hand. Du kannst die Zungenspitze hineinhalten«, sagte Bohrmann zu dem Mädchen. »Sag uns, wie es schmeckt.«
Die Schülerin sah ihn skeptisch an.
»In das stinkende Zeug?«
»Es stinkt nicht mehr. Das Gas hat sich verflüchtigt.
Aber wenn du dich nicht traust, werde ich es eben tun.« Gekicher. Das Mädchen senkte langsam den Kopf und leckte an der Wasserlache.
»Süßwasser«, rief sie überrascht.
»Richtig. Wenn Wasser gefriert, wird das Salz sozusagen ausgesondert. Darum ist die komplette Antarktis das größte Süßwasserreservoir der Welt. Eisberge bestehen aus Süßwasser.« Bohrmann verschloss den Druckbehälter mit dem flüssigen Stickstoff und schob ihn wieder zurück ins Regal. »Was ihr gerade erlebt habt, ist der Grund, warum die Förderung von Methanhydrat sehr zwiespältig gesehen wird. Wenn unser Eingreifen dazu führt, dass die Hydrate instabil werden, sind vielleicht Kettenreaktionen die Folge. Was würde geschehen, wenn der Mörtel verpufft, der die Kontinentalabhänge zusammenhält? Welche Auswirkungen hätte es auf das Weltklima, wenn das Tiefseemethan in die Atmosphäre entweicht? Methan ist ein Treibhausgas, es könnte die Atmosphäre weiter aufheizen, dann werden wiederum die Meere wärmer und so weiter, und so fort. Über alle diese Fragen machen wir uns hier Gedanken.«
»Warum versucht man es denn überhaupt zu fördern?«, fragte ein anderer Schüler. »Warum lässt man es nicht einfach unten?«
»Weil es die Energieprobleme lösen könnte«, rief das Mädchen und schob sich ein weiteres Stück nach vorn. »Das haben sie über die Japaner geschrieben. Die Japaner haben keine eigenen Rohstoffe, sie müssen alles importieren. Methan würde ihre Probleme lösen.«
»Das ist Blödsinn«, erwiderte der Junge. »Wenn es mehr Probleme macht, als welche aus der Welt zu schaffen, löst es gar nichts.«
Johanson begann zu grinsen.