Anawak schwamm auf sie zu. Sie sah ihn herannahen und streckte die Arme nach ihm aus.
»Bitte«, weinte sie. »Helfen Sie mir.«
»Ich helfe Ihnen«, rief Anawak. »Bleiben Sie ruhig.«
»Ich gehe unter. Ich ertrinke!«
»Sie ertrinken nicht.« Er hielt in langen Zügen auf sie zu. »Es kann nichts passieren. Der Overall trägt sie.«
Die Frau schien ihn nicht zu hören.
»So helfen Sie mir doch! Bitte, oh mein Gott, lass mich nicht sterben! Ich will nicht sterben!«
»Haben Sie keine Angst, ich …«
Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Ihr Schreien endete in einem Gurgeln, als sie unter Wasser gezogen wurde.
Etwas streifte Anawaks Beine.
Namenlose Angst erfasste ihn. Er stemmte sich aus dem Wasser, warf einen Blick über die Wellen, und da war das Zodiac. Es trieb kieloben. Nur wenige Schwimmstöße lagen zwischen der kleinen Gruppe Schiffbrüchiger und der rettenden Insel. Nur wenige Meter — und drei schwarze, lebende Torpedos, die von dort auf sie zukamen.
Wie paralysiert starrte er auf die heranstürmenden Orcas. Etwas in ihm protestierte: Nie zuvor hatte ein Orca einen Menschen in freier Wildbahn angegriffen. Orcas verhielten sich Menschen gegenüber neugierig, freundlich oder gleichgültig. Wale griffen keine Schiffe an. Sie taten es einfach nicht. Nichts von dem, was hier geschah, hatte Anspruch auf Gültigkeit. So fassungslos war Anawak, dass er das Geräusch zwar hörte, aber nicht sofort begriff: ein Dröhnen und Röhren, das näher kam, lauter wurde, sehr laut. Dann traf ihn ein Wasserschwall, und etwas Rotes schob sich zwischen ihn und die Wale. Er wurde gepackt und über die Reling gezogen.
Greywolf beachtete ihn nicht weiter. Er steuerte das Sportboot näher an den verbliebenen Rest der Schwimmer, beugte sich erneut vor und ergriff die ausgestreckten Hände Alicia Delawares. Mühelos zog er sie aus dem Wasser und beförderte sie auf eine der Sitzbänke. Anawak lehnte sich hinaus, bekam einen keuchenden Mann zu fassen, wuchtete ihn ins Innere. Er suchte die Wasseroberfläche nach den anderen ab. Wo war Stringer?
»Da!«
Sie tauchte zwischen zwei Wellenkämmen auf, zusammen mit einer Frau, die halb bewusstlos im Wasser trieb. Die Orcas hatten das gekenterte Zodiac umrundet und näherten sich von beiden Seiten. Ihre schwarz glänzenden Köpfe zerteilten das Wasser. Hinter den spaltbreit geöffneten Lippen schimmerten elfenbeinfarbene Zahnreihen. Sekunden noch, und sie würden Stringer und die Frau erreicht haben. Aber Greywolf war schon wieder am Steuer und manövrierte das Boot zielsicher heran.
Anawak versuchte Stringer zu erreichen.
»Die Frau zuerst«, rief sie.
Greywolf kam ihm zur Hilfe. Sie brachten die Frau in Sicherheit. Stringer versuchte sich währenddessen aus eigener Kraft hineinzuziehen, aber sie schaffte es nicht. Hinter ihr tauchten die Wale ab.
Plötzlich schien sie allein. Das Meer leer und verödet. Niemand außer ihr.
»Leon?«
Sie streckte die Hände aus, Furcht im Blick. Anawak langte hinaus und bekam ihren rechten Arm zu fassen.
Im blaugrünen Wasser kam etwas Großes mit unglaublicher Geschwindigkeit nach oben geschossen. Kiefer öffneten sich, helle Zahnreihen vor einem rosafarbenen Gaumen, und schlossen sich knapp unterhalb der Oberfläche. Stringer schrie auf. Sie begann mit der Faust auf das Maul, das sie umklammert hielt, einzuschlagen.
»Hau ab«, schrie sie. »Weg. Du Mistvieh!«
Anawak krallte die Hände in ihre Jacke. Stringer sah zu ihm hoch. Ihr Blick spiegelte Todesangst.
»Susan! Gib mir die andere Hand.«
Er hielt sie fest, entschlossen, nicht nachzugeben. Der Orca hatte Stringer um die Mitte gepackt. Er zerrte mit unglaublicher Kraft an ihr. Ein Heulen kam aus Stringers Kehle, erst dumpf und schmerzvoll, dann überschlagend, schrill. Sie hörte auf, das Maul des Orcas mit Schlägen zu bearbeiten, und schrie nur noch. Dann wurde sie Anawak mit einem fürchterlichen Ruck entrissen. Er sah ihren Kopf unter Wasser verschwinden, ihre Arme, die zuckenden Finger. Der Orca zog sie unerbittlich hinab. Eine Sekunde lang leuchtete noch ihr Overall auf, ein versprengtes Kaleidoskop aus Farbe, das verblasste, sich auflöste, verschwand.
Anawak starrte fassungslos ins Wasser. Aus der Tiefe stieg etwas Glitzerndes nach oben. Ein Schwall Luftblasen. Sie zerplatzten schäumend an der Wasseroberfläche.
Drum herum färbte sich das Wasser rot.
»Nein«, flüsterte er.
Greywolf packte ihn an der Schulter und zog ihn zurück.
»Es ist niemand mehr da«, sagte er. »Wir hauen ab.« Anawak war wie betäubt. Das Sportboot nahm röhrend Fahrt auf. Er taumelte und fing sich. Die Frau, die Stringer gerettet hatte, lag auf einer der seitlichen Sitzbänke und wimmerte. Delaware redete mit zitternder Stimme auf sie ein. Der Mann, den sie aus dem Wasser gezogen hatte, stierte vor sich hin. In einiger Entfernung hörte er tumultartigen Lärm, wandte den Kopf und sah das weiße Schiff umkreist von Schwertern und Buckeln. Wie es aussah, machte die