Johanson musste sich kurz sammeln. »Du meinst die verschwundenen Boote? Deswegen wollte ich dich ohnehin fragen. Ich hab’s nur gestern vor lauter Quallen vergessen.«
Olsen schüttelte den Kopf und kam ganz herein. »Ich gehe recht in der Annahme, dass du mir einen Kaffee anbieten willst«, sagte er, während er sich interessiert umsah. Zu Olsens gleichermaßen nützlichen wie anstrengenden Eigenschaften gehörte seine Neugier.
»Nebenan«, sagte Johanson.
Olsen lehnte sich durch die offene Verbindungstür ins Nebenbüro und orderte lautstark einen Kaffee. Dann setzte er sich und ließ weiterhin seine Blicke schweifen. Die Sekretärin kam herein, stellte knallend einen Becher auf den Schreibtisch und bedachte Olsen mit einem vernichtenden Blick, bevor sie wieder nach nebenan ging.
»Was hat sie denn?«, wunderte sich Olsen.
»Ich hole mir den Kaffee immer selber«, sagte Johanson. »Die Kanne steht gleich nebenan, Milch, Zucker, Tassen.«
»Empfindlich, die Dame, was? Tut mir Leid. Ich bringe ihr kommende Woche selbst gebackene Kekse mit. Meine Frau backt tolle Kekse.« Olsen schlürfte vernehmlich. »Du hast tatsächlich keine Nachrichten gehört, was?«
»Doch, im Auto auf der Hinfahrt.«
»Vor zehn Minuten kam eine Sondermeldung auf CNN. Du weißt ja, ich hab den kleinen Fernseher im Büro, er läuft den ganzen Tag.« Olsen beugte sich vor. Das Licht der Deckenbeleuchtung spiegelte sich in seiner beginnenden Glatze. »Vor Japan ist ein Gastanker in die Luft geflogen und gesunken. Zur gleichen Zeit sind in der Malakkastraße zwei Containerschiffe und eine Fregatte kollidiert. Eines der Containerschiffe sinkt, das andere ist manövrierunfähig, und auf der Fregatte brennt es. Eine Militärfregatte. Es hat eine Explosion gegeben.«
»Meine Güte.«
»Und das am frühen Morgen, was?«
Johanson wärmte die Hände an seinem Becher.
»Was die Malakkastraße angeht, wundert mich nichts«, sagte er. »Erstaunlich, dass da nicht noch mehr passiert.«
»Ja, aber es ist doch ein irrer Zufall, oder?«
Drei Meerengen konkurrierten um den Titel der meistbefahrenen Wasserstraße der Welt, der Ärmelkanal, die Straße von Gibraltar und die Malakkastraße, die Teil des Seewegs von Europa nach Südostasien und Japan war. Das Problem der Welthandelsschifffahrt bestand unter anderem in der Bedeutung solcher Meerengen. Allein in der Malakkastraße verkehrten an einem einzigen Tag rund 600 große Tanker und Frachtschiffe. An manchen Tagen konnte es geschehen, dass bis zu 2000 Schiffe das Gewässer zwischen Malaysia und Sumatra passierten, das zwar 400 Kilometer lang, an seiner schmälsten Stelle aber nur siebenundzwanzig Kilometer breit war. Indien und Malaysia insistierten darauf, die Tankerkapitäne sollten auf die weiter südlich gelegene Straße von Lombok ausweichen, stießen indes auf taube Ohren. Der Umweg verringerte den Profit. So blieb es dabei, dass sich rund fünfzehn Prozent des gesamten Welthandels durch die Malakkastraße und die benachbarten Meerengen drängte.
»Weiß man denn, was da passiert ist?«
»Nein. Kam ja erst vor wenigen Minuten.«
»Schrecklich.« Johanson trank einen Schluck. »Was ist das überhaupt für eine Geschichte mit den verschwundenen Booten?«
»Was? Das weißt du auch nicht?«
»Ich würde sonst kaum fragen«, sagte Johanson etwas gereizt.
Olsen beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Offenbar verschwinden seit längerem Schwimmer und kleine Fischerboote vor Südamerika. Pazifikseite. Es ist kaum darüber berichtet worden, jedenfalls nicht in Europa. Angefangen hat das Ganze wohl in Peru. Erst verschwand ein Fischer, und sie fanden das Boot Tage später. Es trieb auf hoher See, ein Binsenboot, nichts Großes. Sie dachten, er sei vielleicht von einer Welle ins Meer gespült worden, aber seit Wochen ist das Wetter in der Region ganz manierlich. Danach passierten solche Dinge am laufenden Band. Schließlich verschwand ein kleiner Trawler.«
»Warum hat man nichts davon gehört, um Himmels willen?«
Olsen breitete die Hände aus. »Weil man so was da nicht gerne an die große Glocke hängt. Der Tourismus ist zu wichtig. Außerdem findet es weit weg in Gegenden statt, wo viele braune Menschen mit schwarzen Haaren leben, die für uns alle gleich aussehen.«
»Über die Quallen haben sie auch berichtet. Das ist auch weit weg.«
»Ich bitte dich! Das ist ja wohl ein Unterschied. Da sind aufrechte amerikanische Touristen gestorben und ein Deutscher und was weiß ich. Jetzt ist vor Chile eine norwegische Familie verschwunden. Sie sind mit einem Fischerboot rausgeschippert unter Leitung des ortsansässigen Veranstalters. Hochseeangeln. Zack, weg! Norweger, Herrgott, wertvolle blonde Menschen, darüber muss man doch berichten.«
»Schon gut, ich hab’s kapiert.« Johanson lehnte sich zurück. »Und es sind keine Funksprüche durchgegeben worden?«
»Nein, Sherlock Holmes. Einige Male SOS. Das war’s. Bei den meisten der verschwundenen Boote erschöpfte sich die bordeigene Hightech im Außenborder.«
»Kein Sturm?«
»Herrgott, nein! Nichts, was Boote kentern lässt.«
»Und was passiert da vor Westkanada?«