»Dein Geschäft nutzt dir nichts, wenn man dir die Kehle durchgeschnitten hat«, unterbrach ihn Jandhi grob. »Jetzt bring erst mal dieses Kind in Sicherheit, und dann überlege dir gut, wo du deinen Handel wieder aufbauen willst. Es ist möglich, daß wir es eines Tages leid sind, das Leben guter Krieger zu verschwenden, um Narren wie dich zu retten.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Weller hastig.
»Und ich... ich danke Euch. Auch im Namen meiner Schwester.«
»Schon gut«, murrte Jandhi. »Jetzt geh. Zwei Straßen südlich findest du einen Trägerstand. Sag dem Verleiher, daß Jandhi dich schickt, dann wirst du das erste Tier bekommen, das frei ist.«
Weller nickte abermals, drehte sich mit einer fahrigen Bewegung herum und lief so schnell aus dem Zimmer, daß es fast einer Flucht gleichkam. Seine Angst war nicht mehr zu übersehen.
Tally zögerte, ihm zu folgen. Alles in ihr schrie danach, aus der Nähe dieser beiden geheimnisvollen Frauen zu verschwinden, von denen sie immer noch nicht wußte, wer sie waren, die aber über eine ungeheure Macht zu verfügen schienen. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, daß es ungeheuer wichtig war, mehr über sie zu erfahren.
»Geh ruhig, Kind«, sagte Jandhi, die ihr Zögern wohl falsch deutete. »Wenn dein Bruder tut, was ich sage, seid ihr in wenigen Stunden bei euren Verwandten.«
»Danke, Herrin«, sagte Tally. »Ich... ich weiß gar nicht, wie ich Euch –«
»Du brauchst mir nicht zu danken«, unterbrach sie Jandhi. »Es ist unsere Aufgabe, für Ordnung zu sorgen, oder? Und nun geh. Wer weiß – vielleicht sehen wir uns wieder. Wo im Norden wohnen eure Verwandten? «
»Ich weiß nicht genau«, sagte Tally, was der Wahrheit entsprach. »Irgendwo am... am Hafen, sagte Weller.«
»Am Hafen?« Zwischen Jandhis Augen entstand eine steile Falte. »Keine gute Gegend. Aber sie paßt zu deinem Bruder.«
Sie beendete das Gespräch mit einer bestimmenden Geste, lächelte aber noch einmal, als sich Tally rückwärts gehend aus dem Zimmer entfernte. Erst, als die Tür hinter ihr zuschlug, wagte es Tally, sich wieder aufzurichten und erleichtert aufzuatmen. Obwohl eigentlich nichts Besonderes passiert war, hatte sie das bestimmte Gefühl, mit knapper Not einer entsetzlichen Gefahr entronnen zu sein.
Weller hatte das Gebäude bereits verlassen und wartete auf der Straße auf sie, ein Stück abseits der Schlange, und noch immer bleich wie Kalk vor Schrecken. Aber in seinen Augen flammte es zornig auf, als Tally an den Wachen vorbei aus der Tür trat und auf ihn zuging.
»Bist du wahnsinnig geworden?« fauchte er. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst mit niemandem sprechen? Und du –«
»Sie haben mich angesprochen«, unterbrach ihn Tally.
»Was sollte ich tun?«
»Oh verdammt, du bist ja noch verrückter, als ich geglaubt habe!« Weller keuchte, als litte er Schmerzen.
»Weißt du überhaupt, wer das war?«
Tally nickte. »Jandhi«, sagte sie. »Das war der Name, mit dem sie ihre Begleiterin ansprach.«
»Jandhi, ja«, schnaubte Weller wütend. »Jandhi san Sar, die heilige Mutter der
Tally erschrak nicht einmal sehr. Sie hatte geahnt, daß es mit Jandhi und Nirl etwas Besonderes auf sich hatte, und ein Teil von ihr hatte wohl auch gespürt, daß diese Frau mehr als nur irgendeine einflußreiche Persönlichkeit Schelfheims war. Trotzdem spürte sie, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. Unter dem Kleid begannen ihre Knie ein wenig zu zittern. »Die...
Weller grinste böse. »Ja – und jetzt frag' mich, warum ich so erschrocken war. Beim Schlund – ich habe mich schon auf dem Schafott gesehen, als du mit den beiden hereingekommen bist.«
»Na, dann sind wir ja quitt«, sagte Tally spitz. Ihr Schrecken schlug in Zorn auf Weller um. »Deine Idee, einfach so in die Kommandantur zu spazieren und dir einen Passierschein geben zu lassen, war ja wohl auch nicht so gut.«
»Unsinn!« fauchte Weller. »Ich war dabei, mit diesem Narren über die Höhe des Bestechungsgeldes zu verhandeln, als du hereingeplatzt bist. Jetzt ist er zornig und wird uns Ärger machen, wo er nur kann.«
Tally sah ihn scharf an. Sie wußte nicht, ob Wellers Behauptung nun eine Lüge war oder der Wahrheit entsprach. Vielleicht vertrug er es einfach nicht, daß sie recht hatte; der Typ dazu schien er zu sein.
»Ein Grund mehr, zu tun, was Jandhi vorgeschlagen hat«, sagte sie schließlich. »Du weißt, wo dieser Trägerstand ist?«
Weller nickte wütend, drehte sich auf der Stelle herum und wollte losstürmen. Aber sie hatten noch keine drei Schritte getan, als hinter ihnen eine helle Stimme rief:
»Nora, Weller! Wartet!«
Als Tally sich herumdrehte, erkannte sie Jandhi, die mit weit ausgreifenden Schritten auf sie zueilte. Von ihrer jüngeren Begleiterin war keine Spur zu sehen, aber hinter ihr traten gleich fünf Soldaten aus dem Haus und scheuchten die Wartenden beiseite.