»Wurmschwanz, Wurmschwanz«, sagte die kalte Stimme schmeichlerisch,»warum sollte ich dich töten? Ich habe Bertha getötet, weil ich mußte. Nachdem ich sie ausgehorcht hatte, taugte sie zu nichts mehr, sie war überflüssig. Jedenfalls wären peinliche Fragen gestellt worden, wenn sie zurück ins Ministerium gegangen wäre und verkündet hätte, sie hätte im Urlaub dich getroffen. Zauberer, die angeblich tot sind, tun gut daran, unterwegs nicht in irgendwelchen Spelunken Hexen aus dem Zaubereiministerium zu treffen…«
Wurmschwanz murmelte etwas, so leise, daß Frank es nicht verstand, doch der zweite Mann fing an zu lachen – ein gänzlich freudloses Lachen, kalt wie seine Stimme.
»Wir hätten ihr Gedächtnis ummodeln können? Ein mächtiger Zauberer kann einen Gedächtniszauber brechen, wie ich ja selbst bei ihrem Verhör bewiesen habe. Wenn wir das Wissen nicht nutzten, das ich ihr abgepreßt habe, würden wir doch ihr Gedächtnis beleidigen, Wurmschwanz.«
Draußen im Korridor fiel Frank plötzlich auf, daß seine Hand, mit der er den Stock umklammerte, schweißnaß und glitschig war. Der Mann mit der kalten Stimme hatte eine Frau getötet. Er sprach darüber ohne jede Reue – es belustigte ihn. Er war gefährlich – ein Wahnsinniger. Und er plante noch mehr Morde – dieser Junge, Harry Potter, wer immer er war – er war in Gefahr -
Frank wußte, was er zu tun hatte. Jetzt oder nie, es war höchste Zeit die Polizei zu rufen. Er würde aus dem Haus schleichen und sich schnurstracks auf den Weg zur Telefonzelle im Dorf machen… doch die kalte Stimme sprach erneut, und Frank blieb, wo er war, starr wie ein Eiszapfen, und lauschte mit aller Kraft.
»Ein Fluch noch… mein treuer Diener in Hogwarts… Harry Potter ist so gut wie mein, Wurmschwanz. Es ist beschlossen. Kein Streit mehr. Doch still… ich glaube, ich höre Nagini…«
Und die Stimme des zweiten Mannes veränderte sich. Er gab nun Laute von sich, wie Frank sie noch nie gehört hatte; er zischte und fauchte ohne Luft zu holen. Er muß eine Art Krampf oder Anfall haben, dachte Frank.
Und dann hörte er, wie sich hinter ihm im dunklen Korridor etwas bewegte. Er drehte sich um und erstarrte vor Schreck.
Über den dunklen Boden des Korridors glitt etwas auf ihn zu, und als es sich dem Lichtstreifen des Feuers näherte, erkannte er mit einem Schauder des Entsetzens, daß es eine gigantische, gut vier Meter lange Schlange war. Versteinert vor Angst starrte Frank auf das Tier, das sich in weit ausladenden Wellenlinien durch den dicken Staub auf dem Boden bewegte und immer näher kam – was sollte er tun? Flüchten konnte er nur in das Zimmer, wo die beiden Männer saßen und einen Mord ausheckten, doch wenn er stehen blieb, würde ihn die Schlange gewiß töten -
Doch bevor er sich entschieden hatte, war die Schlange gleichauf, und dann, unglaubliches Wunder, glitt sie an ihm vorbei; sie folgte den fauchenden und zischenden Lauten jener kalten Stimme hinter der Tür, und in sekundenschnelle war die Spitze ihres diamantbesetzten Schwanzes durch den Türspalt verschwunden.
Auf Franks Stirn standen Schweißperlen und seine Hand am Stock zitterte. Drinnen im Zimmer zischte die kalte Stimme weiter, und Frank kam ein merkwürdiger Gedanke in den Sinn, ein unmöglicher Gedanke… Dieser Mann kann mit Schlangen sprechen.
Frank begriff nicht, was geschah. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit seiner heißen Wärmflasche behaglich im Bett zu liegen. Das Problem war nur, daß seine Beine keine Anstalten machten, sich zu bewegen. Am ganzen Körper zitternd stand er da und versuchte seine Glieder zu beherrschen, als die kalte Stimme plötzlich wieder Englisch sprach.»Nagini hat interessante Neuigkeiten, Wurmschwanz«, sagte sie.
»T-tatsächlich, Herr?«, sagte Wurmschwanz.
»In der Tat, ja«, sagte die Stimme.»Nagini zufolge steht draußen gleich vor der Tür ein alter Muggel und hört jedes Wort mit, das wir sprechen.«
Frank hatte keine Chance, sich zu verstecken. Er hörte Schritte, dann wurde die Tür zum Zimmer weit aufgestoßen.
Ein kleiner Mann mit schütterem grauem Haar, spitzer Nase und wäßrigen Augen stellte sich vor Frank auf, mit einer Mischung aus Angst und Mißtrauen in den Augen.
»Bitte ihn doch herein, Wurmschwanz. Wo bleiben deine Manieren?«
Die kalte Stimme kam von dem alten Lehnstuhl am Feuer her, doch Frank konnte nicht sehen, wer da sprach. Die Schlange hingegen hatte sich, wie die grausige Karikatur eines Schoßhündchens, auf dem verrotteten Kaminvorleger eingekringelt.
Wurmschwanz winkte Frank mit einer kleinen Verbeugung ins Zimmer. Frank steckte die Angst zwar immer noch in den Knochen, doch er umklammerte erneut seinen Stock und humpelte über die Schwelle.
Das Feuer war die einzige Lichtquelle im Zimmer; es warf lange, spinnengleiche Schatten an die Wände. Frank starrte auf den Rücken des Lehnstuhls; der Mann darauf schien noch kleiner zu sein als sein Diener, denn Frank konnte nicht einmal seinen Hinterkopf sehen.
»Du hast also alles mitgehört, Muggel?«, sagte die kalte Stimme.