Sofort stopfte er alles unter den Mantel und heftete auf sie seinen gespannten Blick. Obwohl er in diesem Augenblick kaum klar denken konnte, fühlte er doch, daß man einen Menschen anders behandeln würde, wenn man zu ihm käme, um ihn zu verhaften. – Aber ... die Polizei? –
»Solltest doch etwas Tee trinken! Willst du? Ich bringe dir welchen; ist noch übriggeblieben ...«
»Nein ... ich gehe; ich gehe gleich hin«, murmelte er, aufstehend.
»Wirst wohl die Treppe nicht hinuntergehen können?«
»Ich gehe ...«
»Wie du willst.«
Sie ging mit dem Hausknecht hinaus. Er stürzte sofort zum Fenster, um den Strumpf und die Fransen zu untersuchen. »Flecken sind wohl da, aber kaum zu sehen; alles ist schmutzig geworden, abgerieben und hat schon die Farbe verändert. Wer es nicht vorher weiß, der wird nichts bemerken. Also kann auch Nastasja aus der Ferne nichts gesehen haben, Gott sei Dank!« Jetzt erst entfaltete er zitternd die Vorladung und begann zu lesen; lange las er das Papier, bis er es endlich begriff. Es war eine gewöhnliche Vorladung vom Revier, heute um halb zehn ins Bureau des Revieraufsehers zu kommen.
»Wann hat man so was gesehen? Ich habe doch mit der Polizei nichts zu schaffen! Und warum gerade heute!« dachte er in schmerzvoller Verwirrung. »Mein Gott, wäre das doch schneller zu Ende!« Er wollte schon niederknien, um zu beten, fing aber zu lachen an, nicht über das Gebet, sondern über sich selbst. Dann begann er, sich eilig anzukleiden. »Wenn ich zugrundegehe, so gehe ich eben zugrunde! Ich muß aber den Strumpf anziehen!« fiel es ihm plötzlich ein: »Er wird vom Staub noch schmieriger werden, und dann verschwinden alle Spuren.« Kaum aber hatte er ihn angezogen, als er ihn gleich wieder angeekelt und entsetzt herunterriß. Er riß ihn herunter, überlegte sich aber gleich, daß er keinen anderen hatte, zog ihn wieder an und begann wieder zu lachen. »Alles ist Konvention, alles ist relativ, das sind ja bloß leere Formen!« ging es ihm flüchtig durch den Kopf, streifte nur die äußerste Oberfläche seines Hirns, doch er zitterte am ganzen Leibe. »Nun hab ich ihn doch angezogen! Schließlich hab ich es doch getan!« Sein Lachen ging aber sogleich in Verzweiflung über. »Nein, das geht über meine Kraft ...« dachte er sich. Seine Füße zitterten. »Das kommt von der Angst«, murmelte er vor sich hin. Der Kopf schwindelte ihm und schmerzte vor Fieber. »Das ist eine List! Sie wollen mich mit List einfangen und plötzlich überrumpeln!« fuhr er fort, als er auf die Treppe hinausging. »Es ist schlimm, daß ich im Fieber bin ... ich kann leicht irgendeine Dummheit sagen ...«
Auf der Treppe erinnerte er sich, daß er alle Sachen im Loche hinter der Tapete liegengelassen hatte. »Vielleicht werden sie aber gerade jetzt, wo ich weg bin, eine Haussuchung machen«, ging es ihm plötzlich durch den Sinn, und er blieb stehen. Seiner bemächtigten sich aber eine solche Verzweiflung und ein solcher, man darf wohl sagen, Zynismus des Unterganges, daß er gleichgültig mit der Hand winkte und seinen Weg fortsetzte.
»Wenn es doch nur schneller zu Ende wäre! ...«
Draußen war es unerträglich heiß; an allen diesen Tagen hatte es keinen Tropfen geregnet. Wieder der Staub, die Ziegelsteine und Kalk, wieder der Gestank aus den Läden und Schenken, wieder jeden Augenblick Betrunkene, finnische Hausierer und schlafende Droschkenkutscher. Die Sonne leuchtete ihm grell in die Augen, so daß sie ihm schmerzten, und der Kopf schwindelte ihm, – das gewöhnliche Gefühl eines Fieberkranken, wenn er plötzlich bei grellem Sonnenlichte auf die Straße tritt.
Als er die gestrige Straße erreichte, blickte er mit qualvoller Unruhe um die Ecke, auf jenes Haus ... und sah sofort wieder weg.
»Wenn sie mich fragen, so werde ich es vielleicht sagen«, dachte er sich, als er sich dem Polizeibureau näherte.
Das Bureau lag eine Viertelwerst von seiner Wohnung entfernt. Es war kürzlich umgezogen und befand sich im dritten Stock eines neuen Hauses. In den alten Räumen war er einmal flüchtig gewesen, doch vor sehr langer Zeit. Als er in den Torweg trat, erblickte er rechts eine Treppe, die gerade ein Mann mit einem Buche in der Hand herunter kam. »Ein Hausknecht; also ist hier auch das Polizeibureau!« sagte er sich und stieg die Treppe aufs Geratewohl hinauf. Er wollte sich bei niemand und nach nichts erkundigen.
»Ich trete ein, knie nieder und erzähle alles ...« dachte er sich, während er zum dritten Stock hinaufstieg.