»... Also das ist mein letztes Wort, verehrteste Lawisa Iwanowna, zum allerletzten Mal«, fuhr der Leutnant fort: »Wenn es in deinem anständigen Hause nur noch ein einziges Mal Skandal gibt, so werde ich dich beim Schlafittchen nehmen, wie es in der Dichtersprache heißt. Hast du es gehört? Also hat sich ein Literat, ein Schriftsteller in einem anständigen Hause fünf Rubel für einen zerrissenen Frack bezahlen lassen? So sind sie alle, diese Herren Schriftsteller!« Er warf Raskolnikow einen verächtlichen Blick zu. »Vorgestern gab es in einem Wirtshause die gleiche Geschichte: so einer aß zu Mittag, wollte aber nicht bezahlen und sagte: ›Ich schreibe über euch eine Satire.‹ Ein anderer hat in der vorigen Woche auf einem Dampfschiffe eine ehrbare Staatsratsfamilie mit den gemeinsten Worten beschimpft. Einen anderen hat man dieser Tage aus einer Konditorei an die Luft gesetzt. So sind sie alle diese Schriftsteller, Literaten, Studenten, Apostel ... Pfui! Du aber scher dich zum Teufel! Ich werde mal selbst bei dir nachschauen ... dann nimm dich in acht! Hast du es gehört?«
Luisa Iwanowna begann mit beschleunigter Freundlichkeit nach allen Seiten hin zu knicksen und zog sich, immer knicksend, zur Tür zurück: doch in der Tür stieß sie von hinten mit einem stattlichen Offizier zusammen, der ein offenes frisches Gesicht und einen wunderbaren, dichten, blonden Backenbart hatte. Es war Nikodim Fomitsch, der Revieraufseher in eigener Person. Luisa Iwanowna beeilte sich, beinahe bis zum Boden zu knicksen, und flog mit schnellen Schritten, hüpfend aus dem Bureau hinaus.
»Wieder ein Ungewitter, wieder Donner und Blitz, Sturm und Orkan!« wandte sich Nikodim Fomitsch liebenswürdig und freundschaftlich an Ilja Petrowitsch. »Wieder hat man Ihr Herz in Unruhe versetzt, wieder sind Sie in Wut geraten! Ich habe es schon auf der Treppe gehört!«
»Ach, was!« versetzte Ilja Petrowitsch mit nobler Nonchalance (er sagte sogar nicht »was« sondern: »wa-«), indem er mit einigen Papieren zu einem anderen Tisch ging; dabei zuckte er bei jedem Schritt höchst malerisch die Achseln, so daß jede Schulter die Bewegung des entsprechenden Fußes mitmachte. »Sehen Sie nur den da an: dieser Herr Schriftsteller, ich wollte sagen, das heißt, gewesener Student, zahlt seine Schulden nicht, hat Wechsel ausgestellt, will die Wohnung nicht räumen, fortwährend beklagt man sich über ihn, und dabei rümpft er die Nase, als ich mir erlaubte, mir in seiner Gegenwart eine Zigarette anzustecken! Die Leute begehen selbst allerlei Gemeinheiten; da sehen Sie sich aber den Herrn an: da steht er in seiner ganzen Schönheit!«
»Armut ist keine Schande, Freundchen, was fängt man aber mit dir an! Ich weiß es, du bist wie Schießpulver und kannst keine Beleidigung ertragen. Wahrscheinlich haben Sie sich durch ihn irgendwie verletzt gefühlt und sich nicht beherrschen können«, fuhr Nikodim Fomitsch fort, sich freundlich an Raskolnikow wendend. »Aber das hätten Sie nicht tun sollen: er ist der e-del-ste Mensch, aber wie Schießpulver, wie Schießpulver! Er braust auf, schäumt, verbrennt und fertig! Und alles ist vorbei! Zuletzt bleibt nur das Gold seines Herzens! Auch im Regiment nannte man ihn ›Leutnant Schießpulver‹ ...«
»Und was war das für ein Rrregiment!« rief Ilja Petrowitsch aus, sehr zufrieden, daß man seinen Ehrgeiz so angenehm kitzelte, doch immer noch schmollend.
Raskolnikow spürte plötzlich Lust, ihnen allen etwas ungemein Angenehmes zu sagen.
»Erlauben Sie mal, Herr Hauptmann«, begann er recht ungezwungen, sich plötzlich an Nikodim Fomitsch wendend. »Versetzen Sie sich doch mal in meine Lage ... Ich bin sogar bereit, den Herrn um Entschuldigung zu bitten, wenn ich mir zu viel herausgenommen habe. Ich bin ein armer und kranker Student, niedergedrückt (er gebrauchte diesen Ausdruck: ›niedergedrückt‹) durch Armut. Ich bin augenblicklich nicht mehr Student, weil ich meinen Unterhalt nicht bezahlen kann, ich werde aber Geld bekommen ... Ich habe eine Mutter und eine Schwester im *–schen Gouvernement. Sie werden mir Geld schicken, und dann werde ich bezahlen. Meine Wirtin ist eine gute Frau, sie ist aber so böse geworden, weil ich meine Stunden verloren habe und seit vier Monaten nicht mehr zahle, daß sie mir sogar kein Mittagessen mehr gibt ... aber ich kann unmöglich verstehen, was das für ein Wechsel ist! Jetzt verlangt sie von mir Zahlung, aber was kann ich ihr bezahlen, urteilen Sie doch selbst! ...«
»Das ist aber nicht unsere Sache ...« bemerkte wieder der Sekretär.