»Nun, nun, Petruschka; ich sage das ja nur so, damit auch du ruhig und glücklich sein kannst. Siehst du, wir sind jetzt alle glücklich; da möchte ich, daß auch du ruhig und glücklich wärest. Jetzt aber wünsche ich dir Gute Nacht. Schlaf dich aus, Petruschka, schlaf dich aus: es hat ein jeder von uns seine Mühe und Arbeit... Und weißt du, lieber Freund, mach dir keine Gedanken darüber, daß...«
Herr Goljadkin hatte den Satz angefangen, hielt dann aber inne. »Sage ich auch nicht zu viel?« dachte er. »Fordere ich auch nicht die Gefahr heraus? So mache ich das immer; ich gehe immer zu weit.« Unser Held ging, sehr unzufrieden mit sich selbst, aus Petruschkas Räume hinaus. Außerdem fühlte er sich durch Petruschkas Respektlosigkeit und Grobheit etwas beleidigt. »Man redet freundlich mit einem solchen Halunken, der Herr erweist ihm eine Ehre, und er hat kein Gefühl dafür,« dachte Herr Goljadkin. »Übrigens findet man diese gemeine Gesinnung bei dieser ganzen Menschenklasse!« Etwas schwankend kehrte er in das Zimmer zurück, und da er sah, daß sein Gast sich schon vollständig hingelegt hätte, setzte er sich für einen Augenblick zu ihm auf das Bett. »Aber das mußt du doch bekennen, lieber Jakow« begann er flüsternd und mit dem Kopfe wackelnd, »du hast dich doch mir gegenüber vergangen, du schändlicher Mensch! Weißt du, Namensvetter, du hast doch... hm...« fuhr er in familiärem, scherzendem Tone fort. Nachdem er endlich freundschaftlich seinem Gaste Gute Nacht gesagt hatte, schickte sich Herr Goljadkin an, schlafen zu gehen. Der Gast schnarchte unterdessen schon. Herr Goljadkin seinerseits begann sich ins Bett zu legen und flüsterte dabei lächelnd vor sich hin: »Du bist heute betrunken, mein Täubchen, Jakow Petrowitsch, du Lump, du armer Schlucker; daß du ein armer Schlucker bist, besagt ja schon dein Familienname!! Na, worüber freust du dich denn? Morgen wirst du ja weinen, du Plärrliese! Was soll ich mit dir anfangen?« Nun aber machte sich eine recht sonderbare Empfindung in Herrn Goljadkins ganzem Wesen geltend, etwas, was mit Zweifel oder Reue Ähnlichkeit hatte. »Ich habe des Guten zuviel getan,« dachte er; »nun brummt mir der Kopf, und ich bin betrunken; und du hast dich nicht beherrschen können, du Dummkopf! Was hast du für einen Haufen dummes Zeug zusammengeschwatzt, und dabei möchtest du noch intrigieren, du Halunke! Allerdings ist Beleidigungen zu verzeihen und zu vergessen die erste Tugend; aber die Sache steht doch schlecht! Ja, so ist das!« Hier stand Herr Goljadkin auf, nahm das Licht und ging auf den Zehen noch einmal hin, um seinen schlafenden Gast zu betrachten. Lange stand er in tiefem Nachdenken über ihn gebeugt da. »Ein unangenehmes Bild! Der reine Spott, der reine Spott; das steht fest!«
Endlich legte sich Herr Goljadkin definitiv schlafen. In seinem Kopfe brummte, sauste und summte es. Das Bewußtsein schwand ihm... Er machte Anstrengungen, an etwas zu denken, sich an etwas sehr Interessantes zu erinnern, eine sehr wichtige, heikle Frage zu lösen; aber er konnte es nicht. Der Schlummer senkte sich auf sein armes Haupt herab, und er schlief ein, wie gewöhnlich Leute einschlafen, die nicht gewohnt sind, bei einem freundschaftlichen abendlichen Zusammensein fünf Gläser Punsch zu trinken.
8. Kapitel
Wie gewöhnlich erwachte Herr Goljadkin am andern Tage um acht Uhr; nachdem er erwacht war, erinnerte er sich sogleich an alle Ereignisse des gestrigen Abends; bei dieser Erinnerung runzelte er die Stirn. »Wie ein rechter Dummkopf habe ich mich gestern benommen!« dachte er, während er sich vom Bett erhob, und blickte nach dem Bette seines Gastes hin. Aber wie groß war sein Erstaunen, als nicht nur der Gast, sondern sogar auch das Bett, auf dem der Gast geschlafen hatte, aus dem Zimmer verschwunden war! »Was stellt das vor?« schrie Herr Goljadkin beinah laut auf. »Wie geht das zu? Was hat jetzt dieses neue Ereignis zu bedeuten?« Während Herr Goljadkin noch verständnislos mit offenem Munde nach dem leeren Fleck hinsah, knarrte die Tür, und Petruschka kam mit dem Teebrett herein. »Wo ist er, wo ist er?« fragte unser Held kaum hörbar und zeigte mit dem Finger nach der Stelle hin, die gestern dem Gaste angewiesen worden war. Petruschka gab zuerst keine Antwort und sah seinen Herrn sogar nicht einmal an, sondern wandte seine Augen nach der Ecke rechts, so daß Herr Goljadkin selbst genötigt war, nach der Ecke rechts hinzublicken. Nach einigem Stillschweigen indes antwortete Petruschka grob mit heiserer Stimme: »Der Herr ist nicht zu Hause.«
»Du Dummkopf! Ich bin ja doch dein Herr, Petruschka!« stotterte Herr Goljadkin und sah seinen Diener mit weit geöffneten Augen an.