Die Taucher sahen zu ihm herüber und bogen Zeigefinger und Daumen zum O. K.-Zeichen. Anawak antwortete in gleicher Weise. Er ließ Luft aus seiner Weste entweichen und schwebte entlang des Hecks nach unten. Nach wenigen Metern schalteten sie die Helmlampen ein. Das Licht streute stark. Es beleuchtete vornehmlich herumtreibendes Zeug. Ausgestoßene Luft blubberte und polterte in Anawaks Ohren, während sie tiefer gingen. Aus dem Halbdunkel schälte sich das Ruder heraus, schartig und gefleckt. Es stand schräg. Anawak tastete nach der Konsole mit dem Tiefenmesser. Acht Meter. Vor ihm verschwanden die beiden Taucher seitlich des Ruderblattes. Nur die Lichtkegel ihrer Lampen irrlichterten dahinter weiter.
Anawak näherte sich von der anderen Seite.
Zuerst sah er nur kantige Ränder und Schalen, die sich zu bizarren Skulpturen übereinander stapelten. Dann wurde ihm klar, dass das Ruder von Unmengen gestreifter Muscheln bewachsen war. Er schwamm näher heran. In den Ritzen und Spalten, dort wo das Blatt gegen den Schacht drehte, waren die Organismen zu einem kompakten, splitterigen Brei zermahlen worden. Kein Wunder, dass sich das Ruder nicht mehr hatte zurückbewegen lassen. Es war festgefressen.
Er ließ sich tiefer sinken. Auch hier war alles voller Muscheln. Vorsichtig griff er in die Masse hinein. Die kleinen, höchstens drei Zentimeter langen Tiere saßen fest aufeinander. Mit äußerster Vorsicht, um sich an den scharfen Schalen nicht zu schneiden, zog er daran, bis sich einige von ihnen widerstrebend lösten. Sie waren halb geöffnet. Aus dem Innern rankten sich zusammengeknäuelte Fäden, mit denen sie Halt gesucht hatten. Anawak verstaute sie in den Sammelbehältern an seinem Gürtel und überlegte.
Er verstand nicht sonderlich viel von Schalentieren. Es gab einige Muschelarten, die einen solchen Byssus besaßen, einen fransigen, klebrigen Fuß. Die bekannteste und berüchtigtste unter ihnen war die Zebramuschel, eingeschleppt aus dem Mittleren Osten. Sie hatte sich während der vergangenen Jahre in amerikanischen und europäischen Ökosystemen breit gemacht und begonnen, die einheimische Fauna zu vernichten. Wenn es Zebramuscheln waren, die das Ruder der
Anawak drehte die abgerissenen Muscheln in der Handfläche.
Das Ruder war von Zebramuscheln befallen. Alles sah ganz danach aus. Aber konnte das sein? Zebramuscheln zerstörten vornehmlich Süßwassersysteme. Zwar überlebten und gediehen sie auch in Salzwasser, aber das erklärte nicht, wie sie auf offener See, wo nichts als kilometertiefes Wasser war, ein fahrendes Schiff hätten entern können. Oder hatten sie schon im Hafen angedockt?
Das Schiff war aus Japan gekommen. Hatte Japan Probleme mit Zebramuscheln?
Seitlich unter ihm, zwischen Ruder und Heck, ragten zwei geschwungene Flügel aus dem trüben Nichts, geisterhaft, unwirklich in ihren Ausmaßen. Anawak ließ sich weiter sinken und schlug mit den Flossen, bis er die Ränder eines der Flügel umfassen konnte. Ein Gefühl des Unbehagens überkam ihn. Der gesamte Propeller maß viereinhalb Meter im Durchmesser. Ein Gebilde aus gegossenem Stahl, das über acht Tonnen wog. Kurz stellte er sich vor, wie es sein musste, wenn sich die Schraube auf Hochtouren drehte. Es schien kaum vorstellbar, dass irgendetwas dieses Riesending auch nur ankratzen konnte. Was ihm zu nahe kam, musste unweigerlich zerschreddert werden.
Doch die Muscheln saßen auch am Propeller.
Eine Schlussfolgerung drängte sich Anawak auf, die ihm nicht gefiel. Langsam hangelte er sich an den Rändern zur Mitte des Propellers hin. Seine Finger berührten etwas Glitschiges. Brocken einer hellen Substanz lösten sich und trudelten ihm entgegen. Er griff danach, bekam einen zu fassen und hielt ihn dicht vor seine Maske.
Gallertig. Gummiartig.
Das Zeug sah aus wie Gewebe.
Anawak drehte das zerfaserte Ding hin und her. Er ließ es in der Sammelbox verschwinden und tastete sich weiter vor. Einer der Taucher näherte sich ihm von der gegenüberliegenden Seite. Mit der Lampe über seiner Maske wirkte er wie ein Alien. Er machte das Zeichen für Herkommen. Anawak stieß sich ab und schwamm zwischen Ruderschacht und Schraube zu ihm hinüber. Langsam ließ er sich tiefer sinken, bis seine Flossen gegen die Kurbelwelle stießen, an deren Ende der Propeller saß.
Hier war mehr von dem schleimigen Zeug. Es hatte sich wie ein Überzug um die Welle gewickelt. Die Taucher versuchten, die Fetzen davon herunterzuziehen. Anawak half ihnen. Sie mühten sich vergebens. Das meiste war so eng mit der Schraube verbunden, dass es sich mit bloßen Händen nicht ablösen ließ.
Roberts’ Worte gingen ihm durch den Kopf. Die Wale hatten versucht, die Schlepper abzudrängen. Absurd.