»Das wird erst ein Grabstein auf dem Friedhof«, sagt Knopf und stelzt auf seine Haustür zu.»Guten Abend die Herren allerseits.«
Er macht eine halbe Verbeugung und stößt sich dabei den Schädel am Türpfosten. Brummend verschwindet er.
»Wer war das?«fragt Riesenfeld mich, während ich nach Kaffee suche.
»Das Gegenteil von Ihnen. Ein abstrakter Trinker. Trinkt ohne jede Phantasie. Braucht keine Hilfe von außen. Keine Wunschbilder.«
»Auch was!«Riesenfeld nimmt am Fenster Platz.»Ein Alkoholfaß also. Der Mensch lebt von Träumen. Wissen Sie das noch nicht?«
»Nein. Dafür bin ich noch zu jung.«
»Sie sind nicht zu jung. Sie sind nur ein Kriegsprodukt – emotionell unreif und bereits zu erfahren im Morden.«
Die Schwaden klären sich anscheinend. Wir sind schon wieder beim Sie angelangt.»Meinen Sie, daß die Dame drüben schon zu Hause ist?«fragt Riesenfeld Georg.
»Vermutlich. Es ist ja alles dunkel.«
»Das kann auch so sein, weil sie noch nicht da ist. Wollen wir nicht ein paar Minuten warten?«
»Natürlich.«
»Vielleicht können wir in der Zwischenzeit unsere Geschäfte erledigen«, sage ich.»Der Vertrag braucht ja nur noch unterschrieben zu werden. Ich hole inzwischen frischen Kaffee aus der Küche.«
Ich gehe hinaus und gebe Georg damit Zeit, Riesenfeld zu bearbeiten. So etwas geht besser ohne Zeugen. Ich setze mich auf die Treppenstufen. Aus der Werkstatt des Tischlers Wilke dringt ruhiges Schnarchen. Es muß immer noch Heinrich Kroll sein, denn Wilke wohnt auswärts. Der nationale Geschäftsmann wird einen netten Schreck kriegen, wenn er im Sarg aufwacht! Ich überlege, ob ich ihn wecken soll, aber ich bin zu müde, und es wird ja auch schon hell – da sollte der Schreck für einen so furchtlosen Krieger eher ein Stahlbad sein, das ihn kräftigt und ihm vorführt, was das Endergebnis eines frischfröhlichen Krieges ist. Ich sehe auf die Uhr und warte auf Georgs Signal und starre in den Garten. Lautlos hebt sich der Morgen aus den blühenden Bäumen wie aus einem bleichen Bett. Im erleuchteten Fenster des ersten Stocks gegenüber steht der Feldwebel Knopf im Nachthemd und nimmt einen letzten Schluck aus der Flasche. Die Katze streicht um meine Beine. Gott sei Dank, denke ich, der Sonntag ist zu Ende.
V
Eine Frau in Trauerkleidung drückt sich durch das Tor und bleibt unschlüssig im Hofe stehen. Ich gehe hinaus. Eine Hügelsteinkundin, denke ich, und frage:»Möchten Sie unsere Ausstellung sehen?«
Sie nickt, sagt aber gleich darauf:»Nein, nein, das ist noch nicht nötig.«
»Sie können sich ruhig umsehen. Sie brauchen nichts zu kaufen. Wenn Sie wollen, lasse ich Sie auch allein.«
»Nein, nein! Es ist – ich wollte nur -«
Ich warte. Drängen hat in unserem Geschäft keinen Zweck. Nach einiger Zeit sagt die Frau:»Es ist für meinen Mann -«
Ich nicke und warte weiter. Dabei drehe ich mich gegen die Reihe der kleinen belgischen Hügelsteine.»Das hier sind sehr schöne Denkmäler«, sage ich schließlich.
»Ja, sicher, es ist nur -«
Sie stockt wieder und blickt mich fast flehentlich an.»Ich weiß nicht, ob es überhaupt erlaubt ist -«preßt sie schließlich hervor.
»Was? Einen Grabstein zu setzen? Wer kann das verbieten?«
»Das Grab ist nicht auf dem Kirchhof -«
Ich sehe sie überrascht an.»Der Pastor will nicht, daß mein Mann auf dem Kirchhof beerdigt wird«, sagt sie rasch und leise, mit abgewandtem Gesicht.
»Warum denn nicht?«frage ich erstaunt.
»Er hat – weil er Hand an sich gelegt hat«, stößt sie hervor.»Er hat sich das Leben genommen. Er hat es nicht mehr ausgehalten.«
Sie steht und starrt mich an. Sie ist noch erschrocken von dem, was sie gesagt hat.»Sie meinen, daß er deshalb nicht auf dem Kirchhof beerdigt werden darf?«frage ich.
»Ja. Nicht auf dem katholischen. Nicht in geweihter Erde.«
»Aber das ist doch Unsinn!«sage ich ärgerlich.»Er sollte in doppelt geweihter Erde begraben werden. Niemand nimmt sich ohne Not das Leben. Sind Sie ganz sicher, daß das stimmt?«
»Ja. Der Pastor hat es gesagt.«
»Pastoren reden viel, das ist ihr Geschäft. Wo sollte er denn sonst beerdigt werden?«
»Außerhalb des Friedhofs. Auf der anderen Seite der Mauer. Nicht auf der geweihten Seite. Oder im städtischen Friedhof. Aber das geht doch nicht! Da liegt doch alles durcheinander.«
»Der städtische Friedhof ist viel schöner als der katholische«, sage ich.»Und auf dem städtischen liegen auch Katholiken.«
Sie schüttelt den Kopf.»Das geht nicht. Er war fromm. Er muß -«Ihre Augen sind plötzlich voll Tränen.»Er hat es sicher nicht überlegt, daß er nicht in geweihter Erde liegen darf.«
»Er hat wahrscheinlich überhaupt nicht daran gedacht. Aber grämen Sie sich nicht wegen Ihres Pastors. Ich kenne Tausende von sehr frommen Katholiken, die nicht in geweihter Erde liegen.«
Sie wendet sich mir rasch zu.»Wo?«
»Auf den Schlachtfeldern in Rußland und Frankreich. Sie liegen da beieinander in Massengräbern, Katholiken, Juden und Protestanten, und ich glaube nicht, daß das Gott etwas ausmacht.«
»Das ist etwas anderes. Sie sind gefallen. Aber mein Mann -«