Skar bemerkte erst jetzt, daß zwischen den ineinandergeschobenenen Kisten und Fässern am Heck des Floßes der zersplitterte Stumpf eines Ruders hervorsah. Er nickte, eilte zu Seshar hinüber und half ihm und Del, die schlimmsten Trümmer beiseite zu schaffen und das Ruder zu befreien. Der Schaden war nicht so schlimm, wie es ausgesehen hatte. Das Ruder war verkantet, und von der Pinne war ein fast meterlanges Stück abgebrochen, aber es mußte trotzdem möglich sein, das Floß zumindest notdürftig zu steuern.
Seshar war verletzt. Er konnte seine linke Hand nicht benutzen, und sein Gesicht war unförmig angeschwollen und schwarz und blau verfärbt. Trotzdem arbeitete er wie ein Wilder. Sein Blick tastete immer wieder am Ufer entlang, als suche er nach einer bestimmten Stelle oder einem Zeichen, und mehr als einmal ertappte Skar ihn dabei, wie er besorgt nach vorne starrte, hinüber zu der Stelle, an der der noch unsichtbare Katarakt in die Tiefe stürzte.
»Wohin steuern wir?« fragte er.
Seshar deutete mit einer Kopfbewegung nach rechts. »Dort hinüber. Achtet auf einen Tunnel. Die Strömung ist hier noch nicht stark, aber wenn wir ihn verfehlen, sind wir verloren.«
Del griff wortlos nach dem Ruder, suchte mit den Füßen nach festem Halt und stemmte sich dagegen. Das Floß hörte langsam auf, sich zu drehen, begann aber dafür wieder schneller flußabwärts zu gleiten. Das Ufer kam mit quälender Langsamkeit näher. Das Floß reagierte nur schwerfällig auf die Ruderbewegungen, und mehr als einmal wurden sie von einer plötzlichen Strömung erfaßt und wieder weit zur Mitte des Sees zurückgetragen. Skars Besorgnis wuchs. Das Geräusch des Wasserfalles wurde langsam, aber beständig lauter.
Schließlich atmete Seshar erleichtert auf und deutete mit der Hand auf eine niedrige, halbrunde Tunnelöffnung in der Wand. Skar versuchte, den Kurs ihres Floßes in Gedanken zu verlängern. Wenn sie Glück hatten und nicht wieder in eine der unberechenbaren Unterströmungen gerieten, konnten sie es schaffen. Er bückte sich, suchte eine passende Planke aus dem Trümmerhaufen zu seinen Füßen heraus und begann mit entschlossenen Bewegungen zu paddeln. Seshar und Coar folgten nach kurzem Zögern seinem Beispiel.
Es war nicht auszumachen, ob ihre Bemühungen irgendeinen Erfolg hatten oder ob es einfach die natürliche Strömung des Wassers war – aber sie bewegten sich in spitzem Winkel auf den Tunnel zu, ohne nennenswert abgetrieben zu werden. Trotzdem paddelten sie ohne Unterbrechung weiter, bis das Floß schließlich vom Sog des in den Tunnel schießenden Wassers erfaßt wurde und sich mit einer schwerfälligen, knarrenden Bewegung in die Strömung drehte. Der Stollen wuchs rasch vor ihnen empor, und nach wenigen Augenblicken konnten sie erschöpft ihre improvisierten Paddel sinken lassen.
»Bei allen Göttern!« keuchte Del. »Habt Ihr noch mehr solcher Überraschungen auf Lager, Seshar?«
Der alte König schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Der Fluß führt mehr Wasser als gewöhnlich«, sagte er erklärend. »Normalerweise ist es nicht so schlimm.«
»Was wäre passiert, wenn wir den Stollen verpaßt hätten?« erkundigte sich Del ruhig.
Seshar wandte den Blick und starrte sekundenlang wortlos in die dunkelgraue Dämmerung, die das Innere des Stollens erfüllte. »Der See mündet ins Meer«, sagte er ruhig. »Aber sein Ausfluß liegt fast hundert Meter über dem Meeresspiegel. Es gibt einen Wasserfall.« Plötzlich gab er sich einen sichtlichen Ruck und sprach in verändertem, optimistischem Tonfall weiter: Aber es hat keinen Sinn, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die hätten sein können. Wir sind jetzt außer Gefahr.«
»Das habt Ihr schon ein paarmal gesagt«, murrte Del.
Seshar nickte. »Ich weiß. Aber diesmal stimmt es. Ihr hättet ohnehin nichts tun können, auch wenn ihr vom Fluß und den Stromschnellen gewußt hättet. Warum sollte ich euch vorher ängstigen?«
Del sog scharf die Luft ein und setzte zu einer wütenden Antwort an, aber Skar brachte ihn mit einem raschen Blick zum Verstummen. »Wie geht es jetzt weiter?« fragte er.
Statt einer Antwort deutete Seshar nach oben. Skar legte den Kopf in den Nacken und sah erst jetzt, daß sie nicht mehr durch eine natürlich geschaffene Höhle, sondern durch einen halbrunden, aus schweren, quadratischen Steinblöcken gemauerten Kanal glitten. Rechts und links des ruhig dahinfließenden Wasserlaufes zogen sich schmale, geländerlose Wege an den Wänden entlang. Der Fels war zermürbt und von Schwamm und weißlichem Schimmel durchsetzt. Der Kanal mußte unermeßlich alt sein.
»Das ist . . . «, sagte er.
»Urcöun«, bestätigte Seshar so leise, daß Coar und Bernec, die weiter vorne auf dem Floß hockten, das Wort nicht hören konnten. »Wir sind direkt darunter. Weiter unten gibt es eine Stelle, an der wir das Floß anlegen und entladen können. Es dauert nicht mehr lange.«