Also blieben die Götter allein in Walhall zurück, und Odin sprach zu Loki: ›Du warst es, der mir den Rat gab, mit den Riesen einen solchen Pakt zu schließen. Was rätst du mir nun.‹
›Es gibt nur eines auf der Welt, was höher steht als die Reize einer Frau‹, entgegnete Loki, ›und das ist das Gold, um dessentwillen Alberich der Nibelung der Liebe entsagte. Nur der Schatz des Nibelungen wird die Riesen bewegen, uns Freya zurückzugeben. Ich werde dich dorthin führen, und mit deiner Zaubermacht und meiner List werden wir diesen Preis erringen.‹
Odin aber dachte im Geheimen an den Ring, den er begehrte, und so sagte er: ›Dann zeig mir den Weg!‹ «
Die Verborgene Königin machte eine Pause und fuhr dann fort:
»Wer Loki wirklich war, das haben wir ... haben die Asen nie gewusst. Einige sagen, er sei der Sohn eines Riesen gewesen; andere meinen, er sei einer der Wanen; wieder andere behaupten, er sei aus dem Urfeuer selbst geboren worden, in den fernsten Regionen von Muspelheim. Doch als Loki in Odins Halle kam, begrüßte ihn der Allvater wie einen lange ersehnten Bruder. Vielleicht war er sein Bruder, ob im Blute oder im Geiste, sein anderes, dunkles Ich. Er war schön von Gestalt, doch in seinen Augen brannte eine unstete Flamme. In jenen frühen Tagen war Loki das Feuer der Götter - sie bedienten sich seiner, sie spielten damit, doch am Ende verbrannten sie sich.
Gemeinsam stürzten sich Odin und Loki in die Tiefe von Mimirs Quell, der mit allen Welten in Verbindung steht, und durch die Schwefelklüfte schwangen sie sich hinunter nach Nibelheim, ins Reich der Schwarzalben.
Der Erste, den sie dort trafen, war Regin, Alberichs Bruder. Er neidete diesem seit langem seinen Glanz und seine Macht. Als er die Götter sah, sprach er: ›Wer seid ihr, und was wollt ihr hier? Wisst ihr nicht, dass dies Alberichs Reich ist?‹
Darauf antwortete Loki, der Listenreiche: ›Wir sind gekommen, die Schwarzalben aus der Knechtschaft Alberichs zu befreien.‹
Regin aber entgegnete: ›Keiner ist stärker als Alberich. Der Ring der Macht, den er sich geschmiedet hat, macht ihn unsichtbar. Keiner hat mehr den Mut, etwas gegen ihn zu sagen - oder zu tun.‹
Doch Loki sprach: ›Führ uns zu ihm.‹
So wurden sie vor Alberichs Thron geführt, in eine dunkle, verrußte Halle, wo sich hässlich und schwarz sein Sitz erhob, umgeben vom Gewimmel seiner verkrümmten, ängstlich geduckten Sklaven. Alberich aber war der hässlichste von allen, wenngleich seinen Hals das Brisingamen, das schönste aller Kleinode zierte, und als er die Asen sah, zischte er:
›Kommen nun endlich auch die Götter von ihren Höhen herab, um mir zu huldigen?‹
Odin setzte zu einer zornigen Erwiderung an, doch Loki sagte: ›Wir kamen, um die Wahrheit über die mächtigen Wunder von Nibelheim zu erfahren. Doch am meisten wundert mich, wie sehr die Zwerge vor diesem goldenen Ring zittern, den du angeblich besitzt. Es heißt, er gebe dir die Macht, dich unsichtbar zu machen?‹
Alberich zog den Ring hervor, den er stets verborgen hielt, und streifte ihn über den Finger. Alsgleich verschwand er vor den Augen aller; doch Loki wurde von einem Schlag zurückgeschleudert, und eine Stimme ertönte aus dem Nichts: ›Ergibst du dich nun, du elender Wicht?‹
Loki wand sich am Boden und sprach: ›Verschone mein Leben, schrecklicher Nibelung!‹
Doch Odin öffnete sein zweites Auge, das aus den Tiefen von Mimirs Quell immer nach innen blickt, und er sah den Unsichtbaren, trat von hinten an ihn heran und zog ihm den Ring vom Finger.
Da verwandelte Loki sich, seiner Natur gemäß, in eine lodernde Flamme, dass alle von ihr geblendet waren. Und als Alberich wieder zu sehen vermochte, lag er gebunden auf dem höchsten Gipfel von Midgard, und Odin wies ihm den Ring der Macht und sprach: ›Wenn dir dein Leben lieb ist, so wirst du uns den Schatz ausliefern, bis auf das letzte Stück.‹ Und Alberich, des Ringes beraubt, hatte keine Wahl, als ihnen zu Willen zu sein, und so schafften in nächtlicher Arbeit die Schwarzalben den Schatz ihres Königs hinauf gen Asgard, Stück um Stück.
›Bist du nun zufrieden?‹ fragte Alberich. ›Das ist alles.‹
›Bis auf das Halsband Brisingamen‹, sprach Odin.
Da riss sich Alberich das Geschmeide vom Hals und warf es auf den Haufen und verfluchte alles an dem Schatz, das nicht aus freiem Willen gegeben sei. Dann stürzte er sich zurück in die dunkle Kluft, der er entstiegen war.
Als nun die Riesen mit Freya zurückkehrten, da erblickten sie das Gold, und so groß war die Macht jenes Goldes in der Altvorderenzeit, dass Fafnir und sein Bruder sagten: ›Wenn ihr uns die Göttin mit Gold bedeckt, dann wollen wir das Gold an ihrer statt nehmen.‹
So bedeckten sie Freya mit Gold, bis nur noch eine schimmernde Locke hervorsah. Fasolt wollte es dabei bewenden lassen, doch Fafnir sagte: ›Was ist es, das da an deinem Finger glänzt, Allvater? Ist das nicht auch noch Teil des Schatzes?‹
›Das ist mein Ring, den lasse ich nicht!‹ rief Odin.
›Dann ist die Göttin unser‹, antwortete Fafnir.