Alberich stand wie vom Blitz getroffen. Seine Stirn war eine einzige Wunde. Die schwarzen Augen waren weit aufgerissen, aber begannen sich bereits zu verschleiern. Er wollte etwas sagen, aber außer einem schmerzerfüllten Röcheln brachte er nichts mehr hervor. Die Klinge entfiel seiner kraftlosen Hand, schlug klirrend auf den Fels. Der einstmals mächtige König der Swart-alfar, Herr des Nibelungenschatzes, Schöpfer des Ringes, der das Schicksal von Helden und selbst von Göttern bestimmt hatte, taumelte, stürzte mit dem Gesicht nach vorn zu Boden, und noch bevor sein Körper den Fels berührte, war er tot.
Die drei verbliebenen Schwarzalben starrten Siggi an, als wäre wirklich Thor mit seinem Hammer zwischen sie gefahren. Dann wandten sie sich um und flohen.
Siggi hatte Besseres zu tun, als ihnen nachzulaufen. Er beugte sich zu stattdessen zu Hagen hinab, der gerade stöhnend zu sich kam. Auch Gunhild kam heran und stützte den gefallenen Freund.
Einige Augenblicke brauchte Hagen noch, dann klärte sich sein verschwommener Blick, und er kam wieder zu Bewusstsein.
Gunhild warf einen Blick auf Hagens Kopf, aber außer einer ansehnlichen Beule hatte ihr Freund anscheinend keine Verletzungen davongetragen.
Siggi erzählte Hagen in knappen Worten, was geschehen war. Nur kurz warf Hagen einen Blick auf die am Boden liegende Leiche Alberichs, den er einmal Vater genannt hatte. Ein Hauch von Trauer streifte Hagen, aber nicht mehr; denn zu der Zeit, wo er Alberich diente, hatte er unter dem Einfluss Lokis gestanden und unter dem seiner eigenen Begierde. Das war jetzt vorbei.
»Lasst uns weitergehen«, meinte Gunhild. »Es wird Zeit.«
»Geht's?«, wandte sich Siggi an Hagen.
»Ja«, war Hagens Antwort. »Es muss.«
Mühsam kam er auf die Beine. Sie machten um den toten König einen Bogen und setzten ihren Weg durch die Gänge fort. Gunhild übernahm wieder die Führung.
Siggi fühlte sich, als ging er durch eine Welt aus Watte. Erst merkte er, dass seine Hände zitterten, und Übelkeit stieg ihn ihm auf. Er hatte getötet, ein Lebewesen einfach umgebracht. Das hatte er nicht gewollt, und selbst die Erkenntnis, dass er in Notwehr gehandelt und Alberich ihm keine Wahl gelassen hatte, war keine Beruhigung für ihn.
»Du kannst nichts dafür«, erreichte ihn Gunhilds Stimme, und er spürte Hagens Hand auf seiner Schulter; denn die beiden sahen Siggi an, wie sehr er unter dem verzögerten Schock litt.
»Ich wollte das nicht...«, sagte er hilflos.
»Du hast mir das Leben gerettet. Ich bin dir unendlich dankbar, dass du ihn getötet hast«, sagte Hagen und sah ihn ernst an. »Ohne dich würde ich jetzt mit gespaltenem Schädel daliegen. Und dich und Gunhild hätte er wahrscheinlich auch umgebracht.«
»Das ist wahr«, stand ihm Gunhild bei.
»Aber ich wollte ihn trotzdem nicht töten«, meinte Siggi. »Ich wollte ihn nur aufhalten.«
»Das wissen wir«, sagte Gunhild, »aber es ist nun mal passiert. Hoffen wir alle, dass wir nicht noch mal in so eine Situation geraten ...«
Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Jeder hing seinen Gedanken nach, und so gut es ging, versuchten sie, den Weg zu sichern. Immer wieder hörten sie Schreie und Schlachtlärm, was ihre düstere Stimmung noch verstärkte.
Je näher sie dem Schlachtfeld kamen, umso deutlicher wurden die Spuren von Tod und Zerstörung. Zerbrochene Waffen, Tote, Blutspuren waren ihre Wegbegleiter. Keiner von ihnen wollte sehen, wie es erst auf dem Schlachtfeld aussah.
Gunhild schauderte bei dem Gedanken an den Weg, den sie nur dank Laurions kluger Führung und viel, viel Glück, sowie der Hilfe des armen Yngwe und der anderen Lios-alfar überstanden hatten. Solch eine Hilfe hatten sie nun nicht mehr.
»Wir können nicht anders, wir müssen über das Schlachtfeld«, ließ Gunhild die Jungen wissen. »Die Göttin hat gerade zu mir gesprochen.«
Siggi schwieg. »Der Ring«, sagte er schließlich. »Wir müssen versuchen, uns im Schutz des Ringes über den Kampfplatz zu mogeln.«
Hagen und Gunhild nickten. Etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. Sie tappten vorsichtig durch die Gänge, in denen zeitweise der gewaltige Kampf der Völker der Anderswelt getobt haben musste. Überall lagen zerhauene Waffen und Schilde, die Toten wurden immer mehr. Von Zeit zu Zeit stöhnten Verwundete.
Es war entsetzlich, und die Kinder versuchten, möglichst nicht hinzusehen, aber manchmal ließ es sich nicht vermeiden.