»Aus diesem Grund«, sagte Karan, »hat Karan beschlossen, dir nicht zu helfen. Er wird dir den Weg nicht zeigen. Es wäre dein Tod.«
»Und wenn ich dich zwinge?« fragte Tally ruhig. Jan spannte sich, aber sein Vater brachte ihn mit einer raschen, fast nicht wahrnehmbaren Bewegung zur Ruhe.
»Wie?« fragte er.
»Ich könnte dich töten, wenn du es nicht tust«, sagte Tally.
Karan lächelte. »Nein«, sagte er. »Das würdest du nicht tun.«
»Bist du sicher?«
»Karan ist sicher«, antwortete Karan. »So sicher, daß er dich bittet, noch einige Tage hier bei ihm zu bleiben.«
»Warum sollte ich das tun?« fragte Tally zornig. »Ich habe genug Zeit verloren.«
»Um dich zu erholen«, antwortete Karan. »Dein Körper braucht Ruhe. Und du weißt viele Dinge, die Karan interessieren. Du könntest mit ihm reden. Er lebt von Informationen.«
Tally dachte an das leichenhäutige, sabbernde Ding draußen in seinem Verschlag. Ganz leicht wurde ihr übel. Oh ja, sie konnte sich vorstellen, daß Karan von Informationen lebte. Jetzt, wo sie wußte, wo er sie unterbrachte.
»Er bezahlt gut«, fuhr Karan fort. »Wissen gegen Wissen.«
»Wissen gegen Wissen?« Tally schnaubte. »Was könntest du mir bieten, alter Mann? Das, was ich von dir will –«
»Kein Wissen über den Schlund«, unterbrach sie Karan. »Doch sonst alles. Viel, was wertvoll für dich sein kann. Bedenke, wie Jan dich fand. Fast wärest du gestorben, aus reiner Unwissenheit. Vielleicht ist Karans Sohn das nächste Mal nicht da, um dir beizustehen. Der Weg zurück in deine Heimat ist weit und voller Gefahren. Karan kennt andere Wege.«
Tally überlegte einen Moment. Ganz impulsiv hatte sie eher Lust, Karan den Rest ihrer Mahlzeit ins Gesicht zu schütten, als ein
... und plötzlich wußte sie, was sie tun mußte. Der Gedanke überfiel sie mit solcher Wucht, daß sie an sich halten mußte, ihn nicht vor lauter Verblüffung gleich auf der Stelle laut auszusprechen. Oder zu hastig in die Tat umzusetzen. Und er war so einleuchtend, daß sie sich fragte, warum beim Schlund sie zwei volle Tage gebraucht hatte, darauf zu kommen.
Gezwungen ruhig wandte sie sich an Jan. »Dieses Mädchen«, begann sie. »Angella...«
Jan sah auf. »Mädchen?« fragte er mit gerunzelter Stirn. »Ich wüßte eine Menge Bezeichnungen, die besser auf sie passen.«
Tally schnitt ihm das Wort mit einer ungeduldigen Geste der Hand ab. »Sie lebt«, sagte sie. »Stimmt das?« Jan nickte. Er wirkte betrübt. »Ich fürchte, ja«, antwortete er. »Du hättest gründlicher zustoßen sollen; am besten ein dutzendmal. Mein Vater hat vollkommen recht – du bist tot, wenn du dieses Haus verläßt. Angellas Männer durchsuchen die ganze Stadt. Und wenn sie dich finden, wirst du dir wünschen, niemals geboren zu sein.«
»Ich kann nicht hierbleiben, bis sie an Altersschwäche stirbt«, sagte Tally.
»Natürlich nicht. Die Aufregung wird sich legen. Wahrscheinlich schon in ein paar Tagen. Aber im Moment wäre es gefährlich für dich, dich draußen sehen zu lassen. Für uns übrigens auch«, fügte er hinzu. »Sie ist nachtragend, weißt du? Wenn sie erfährt, daß wir dir geholfen haben...« Er sprach nicht weiter, sondern fuhr sich bezeichnend mit dem Zeigefinger an der Kehle entlang und grinste.
Tally tat so, als dächte sie einen Moment lang angestrengt nach. Dann nickte sie. »Vielleicht habt ihr recht«, sagte sie. »Aber ich bin nicht allein. Hrhon wird nervös werden, wenn er nichts von mir hört.« Karan schwieg, und Tally fügte hinzu: »Er könnte beginnen, sich Sorgen um mich zu machen. Oder gar glauben, daß ich in Gefahr bin. Hast du schon einmal einen wütenden Waga erlebt, Karan?«
»Kein Fischgesicht betritt Karans Haus«, sagte der Alte.
»Das ist auch nicht nötig«, sagte Tally rasch. »Vielleicht könnte Jan ihm eine Nachricht überbringen?«
»Warum nicht?« Jan zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau, wo er ist, aber ich werde ihn finden. Wagas sind selten hier. Sie fallen auf. Was soll ich ihm sagen?«
»Es würde nicht viel nutzen, ihm etwas zu
»Und wie?« Jan sah sie an, sehr aufmerksam, aber ohne die geringste Spur von Mißtrauen.
»Ich werde dir eine schriftliche Nachricht für ihn mitgeben«, sagte Tally. »Nur ein paar Zeilen, die beweisen, daß ich lebe und nicht gefangen gehalten werde. Und es wäre gut, wenn du sie ihm bald bringst«, fügte sie hinzu.