»Also gut, dann werde ich es dir sagen – verbessere mich, wenn ich einen Fehler mache. Deine Heimat war Stahldorf, nicht wahr?«
Diesmal gelang es Tally nicht mehr vollends, ihre Überraschung zu verbergen. Sie nickte. »Woher weißt du das?«
»Ich weiß alles über dich«, antwortete Jandhi. Sie setzte sich bequemer hin, soweit dies auf dem metallenen Hocker überhaupt möglich war, schlug die Beine übereinander und sah Tally sehr lang und nicht einmal auf unfreundliche Weise an.
Tally ihrerseits fragte sich, wieviel Zeit ihr noch blieb – sie war schon sehr lange in diesem verdammten Berg, und sie wußte noch immer nicht, wo ihr wahrer Feind eigentlich zu finden war. Sie wußte nicht einmal, wie er aussah; sie spürte nur, daß Jandhi und ihre Schwestern es nicht waren. Und daß sie ihn erkennen würde, wenn sie ihm gegenüberstand.
»Wir wissen alles über dich«, sagte Jandhi noch einmal. »Vielleicht mehr als du selbst. Nach dem Angriff auf den Turm haben wir begonnen, Erkundigungen über dich einzuziehen.« Sie lächelte flüchtig. »Es war nicht leicht«, gestand sie. »Du hast deine Spur gut verwischt. Aber eine Frau und ein Waga, die allein durch die Welt ziehen, bleiben nicht lange unentdeckt. Du stammst also aus Stahldorf. Du warst die einzige Überlebende, nicht?«
»Die einzige, die Hraban am Leben gelassen hat, ja.« Jandhi runzelte flüchtig die Stirn, aber sie ging nicht weiter auf Tallys Bemerkung ein. »Du hast ihn geheiratet«, stellte sie fest. »Warum?«
»Warum fragst du, wenn du alles weißt?«
»Weil ich versuchen möchte, dich zu verstehen«, antwortete Jandhi. »Du hast den Mann geheiratet, der dein Dorf niedergebrannt hat. Einen Mann, der in unseren Diensten stand. Wußtest du, daß wir deine Sippe ausgelöscht haben?«
Tally wußte es nicht, aber es überraschte sie auch nicht. Sie schwieg.
»Du warst klug«, gestand Jandhi. »Nach dem Gemetzel, das du im Turm angerichtet hattest, starteten wir eine Strafexpedition gegen deine Sippe. Wir haben ihr Dorf verbrannt und sie ausgelöscht – alle.« Sie seufzte.
»Ein Fehler, wie ich jetzt weiß. Du hast sie von Anfang an nur benutzt, nicht wahr? Du hast Hraban nicht aus Liebe geheiratet, sondern nur, um sein Vertrauen zu erringen.«
»Es war der einzige Weg, um an euch heranzukommen«, antwortete Tally. Sie wollte nicht reden, denn sie spürte, daß Jandhi nun doch erreichte, was sie vorgehabt hatte – sie in eine Lage zu manövrieren, in der sie hilflos war.
Schon jetzt war sie halb in die Defensive gedrängt. Aber sie konnte auch nicht schweigen. Es war zu viel. Sie hatte all dies zu lange mit sich herumgetragen, ihren Haß zu lange geschürt, ja, ihn beschützt wie einen Schatz, weil er das einzige war, das sie noch am Leben erhalten hatte. Und jetzt stand sie einer der Frauen gegenüber, der dieser Haß galt. Sie
»Ja!« schrie sie. »Ich wollte sein Vertrauen erringen! Ich habe ihn geheiratet, weil ich ihn benutzen wollte – und? Du und deine Drachen, ihr habt mir alles genommen, was ich hatte. Ich habe Hraban meinen Körper gegeben, weil ich ihm nichts anderes geben konnte? Und? Findest du das
Das letzte Wort hatte sie auf eine Art ausgesprochen, die Jandhi zusammenfahren ließ. Aber sie schwieg, und Tally fuhr, noch immer sehr erregt und halbwegs schreiend, fort: »Ich habe geschworen, euch zu vernichten. Damals, als ich aus dem Wald trat und meine Heimatstadt brennen sah, habe ich es geschworen, Jandhi, und ich –«
»Und du hast Hraban und seine Sippe benutzt, diesen Schwur zu halten«, unterbrach sie Jandhi, nun ebenfalls zornig. »Die Menschen, bei denen du aufgewachsen bist. Die dir Heimat und Familie waren, Tally! Sie haben dich aufgenommen, als du niemanden mehr hattest! Und sie sind tot, durch deine Schuld.«
»Menschen?« Tally spie das Wort hervor wie eine Obszönität. »Menschen, Jandhi? Sie waren Mörder, schlimmer als die Tiere. Hrhon und Essk sind für mich tausendmal mehr Menschen als Hrabans Mordgesindel.«
»Du hast dazugehört!« sagte Jandhi scharf. »Nach Hrabans Tod hast du die Sippe geführt. Du warst es, der an seiner Stelle Städte und Dörfer niederbrennen ließ! Wie viele gibt es jetzt wohl, die dich hassen, so wie du Hraban gehaßt hast?«
»Viele«, antwortete Tally ungerührt. »Aber es mußte sein. Anders wäre ich nicht an euch herangekommen.«
»Und uns wolltest du ja haben!«
»Ja, das wollte ich!« schrie Tally. »Euch. Ich... ihr Ungeheuer! Ihr beherrscht diese Welt! Ihr führt euch auf wie die Götter, und ihr vernichtet jeden, der es wagt, euch zu widersprechen.«
»Und du hast dich niemals gefragt, warum?«
Tally schwieg einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich will es nicht wissen«, sagte sie. »Ich bin sicher, du hast tausend gute Gründe, aber was ich gesehen und erlebt habe, reicht.«
»Was hast du denn gesehen?« fragte Jandhi geduldig.