Читаем Die Vermessung der Welt полностью

Was danach geschah, konnte sein Gedächtnis lange nicht zur Einheit formen. Es kam ihm vor, als wäre die Zeit vor-und zurückgeschnellt, als hätten sich mehrere Möglichkeiten eröffnet und gegenseitig wieder ausgelöscht. Eine Erinnerung zeigte ihn an Johannas Bett, während sie kurz die Augen aufschlug und ihm einen Blick zuwarf, in dem kein Wiedererkennen war. Die Haare klebten ihr im Gesicht, ihre Hand war feucht und kraftlos, der Korb mit dem Säugling stand neben seinem Stuhl. Dem widersprach eine andere Erinnerung, in der sie schon kein Bewußtsein mehr hatte, als er ins Zimmer stürmte, und eine dritte, in der sie in diesem Augenblick bereits gestorben war, ihr Körper bleich und wächsern, sowie eine vierte, in der er mit ihr ein Gespräch von entsetzlicher Klarheit führte: Sie fragte, ob sie sterben müsse, nach einem Moment des Zögerns nickte er, worauf sie ihn aufforderte, nicht zu lange traurig zu sein, man lebe, dann sterbe man, so sei es nun einmal. Erst nach der sechsten Nachmittagsstunde fügte sich alles wieder. Er saß an ihrem Bett. Menschen tuschelten im Flur. Johanna war tot.

Er schob den Stuhl zurück und versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß er wieder heiraten mußte. Er hatte Kinder. Er wußte nicht, wie man die aufzog. Einen Haushalt fuhren konnte er nicht. Dienstboten waren teuer.

Leise öffnete er die Tür. Das, dachte er, ist es. Leben müssen, obgleich alles vorbei ist. Disponieren, organisieren: jeden Tag, jede Stunde und Minute. Als hätte es noch Sinn.

Ein wenig beruhigte es ihn, als er seine Mutter ankommen hörte. Er dachte an die Sterne. Die kurze Formel, die all ihre Bewegungen in einer Zeile zusammenfaßte. Zum erstenmal wußte er, daß er sie nicht finden würde. Allmählich wurde es dunkel. Zögernd ging er zum Teleskop.

Der Berg

Beim Licht einer Ölfunzel, während der Wind immer mehr Schneeflocken vorbeitrug, versuchte Aimé Bonpland, einen Brief nach Hause zu schreiben. Denke er an die vergangenen Monate, so sei ihm, als habe er Dutzende Leben hinter sich, alle einander ähnlich und keines wiederholenswert. Die Orinokofahrt scheine ihm wie etwas, wovon er in Büchern gelesen habe, Neuandalusien sei eine Legende aus der Vorzeit, Spanien nur mehr ein Wort. Inzwischen gehe es ihm besser, manche Tage seien schon fieberfrei, auch die Träume, in denen er Baron Humboldt erwürge, zerhacke, erschieße, anzünde, vergifte oder unter Steinen begrabe, würden seltener.

Er überlegte und kaute an seinem Federkiel. Etwas weiter bergan, umgeben von schlafenden Maultieren, das Haar mit Rauhreif und etwas Schnee bedeckt, rechnete Humboldt an einer Positionsbestimmung mit Hilfe der Jupitermonde. Auf den Knien balancierte er den Glaszylinder des Barometers. Neben ihm schliefen, in Wolldecken gewickelt, ihre drei Bergführer.

Morgen, schrieb Bonpland weiter, wollten sie den Chimborazo bezwingen. Für den Fall, daß sie es nicht überlebten, habe Baron Humboldt ihm dringend geraten, einen Abschiedsbrief zu schreiben, weil es nämlich unwürdig sei, einfach so und ohne Schlußwort zu sterben. Auf dem Berg würden sie Steine und Pflanzen sammeln, selbst hier oben gebe es unbekannte Gewächse, er habe in den letzten Monaten viel zu viele davon zerschnitten. Der Baron behaupte, es gebe bloß sechzehn Grundtypen, aber er sei eben gut im Erkennen von Typen, ihm, Bonpland, kämen sie unzählig vor. Ein Großteil ihrer Präparate, darunter drei sehr alte Leichen, seien in Havanna auf ein Schiff nach Frankreich verladen worden, in einem zweiten Schiff hätten sie die Herbarien und all ihre Aufzeichnungen an Baron Humboldts Bruder gesandt. Vor drei Wochen oder vielleicht auch sechs, die Tage vergingen so schnell und er habe den Überblick verloren, hätten sie erfahren, daß eines der Schiffe abgesoffen sei. Baron Humboldt habe es schlimme Tage beschert, dann aber habe er gesagt, man sei ja erst am Anfang. Ihm, Bonpland, habe der Verlust weniger zugesetzt, denn sein Fieber sei damals so stark gewesen, daß er nur vage gewußt habe, wo er gewesen sei und warum und wer. Den Großteil der Zeit habe er in Alpträumen mit Fliegen und mechanischen Spinnen gekämpft. Er bemühe sich, nicht daran zurückzudenken, und hoffe bloß, daß das gesunkene Schiff nicht das mit den Leichen gewesen sei. So viele Stunden habe er mit ihnen verbracht, daß er in ihnen gegen Ende der Flußfahrt nicht mehr bloße Schiffsladung, sondern schweigsame Gefährten gesehen habe.

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