Erich Maria Remarque
Drei Kameraden
I
Der Himmel war gelb wie Messing und noch nicht verqualmt vom Rauch der Schornsteine. Hinter den Dächern der Fabrik leuchtete er sehr stark. Die Sonne mußte gleich aufgehen. Ich sah nach der Uhr. Es war noch vor acht. Eine Viertelstunde zu früh.
Ich schloß das Tor auf und machte die Benzinpumpe fertig. Um diese Zeit kamen immer schon ein paar Wagen vorbei, die tanken wollten. Plötzlich hörte ich hinter mir ein heiseres Krächzen, das klang, als ob unter der Erde ein rostiges Gewinde hochgedreht würde. Ich blieb stehen und lauschte. Dann ging ich über den Hof zurück zur Werkstatt und machte vorsichtig die Tür auf. In dem halbdunklen Raum taumelte ein Gespenst umher. Es trug ein schmutziges weißes Kopftuch, eine blaue Schürze, dicke Pantoffeln, schwenkte einen Besen, wog neunzig Kilo und war die Scheuerfrau Mathilde Stoß.
Ich blieb eine Weile stehen und sah ihr zu. Sie hatte die Grazie eines Nilpferdes, wie sie da zwischen den Autokühlern hin und her torkelte und mit dumpfer Stimme das Lied vom treuen Husaren sang. Auf dem Tisch am Fenster standen zwei Kognakflaschen. Eine davon war fast leer. Am Abend vorher war sie voll gewesen. Ich hatte vergessen, sie einzuschließen.
»Aber Frau Stoß«, sagte ich.
Der Gesang brach ab. Der Besen fiel zu Boden. Das selige Grinsen erlosch. Jetzt war ich das Gespenst.»Jesus Christus«, stammelte Mathilde und starrte mich aus roten Augen an.»Ihnen hab' ich noch nich erwartet…«
»Kann ich verstehen. Hat's geschmeckt?«
»Das ja – aber's is mir peinlich.«Sie wischte sich über den Mund.»Direkt platt bin ich…«
»Na, das ist nun eine Übertreibung. Sie sind nur voll. Voll wie eine Strandhaubitze.«
Sie hielt sich mühsam aufrecht. Ihr Schnurrbart zuckte, und ihre Augenlider klapperten wie bei einem alten Uhu. Aber allmählich gelang es ihr, klarer zu werden. Entschlossen trat sie einen Schritt vor.»Herr Lohkamp – Mensch is nur Mensch – erst hab' ich nur dran gerochen – und dann einen Schluck genommen – weil mir im Magen doch immer so flau is – ja, und dann – dann muß mir der Satan geritten haben. Man soll ein armes Weib auch nicht in Versuchung führen und die Pulle stehenlassen.«
Es war nicht das erstemal, daß ich sie so traf. Sie kam jeden Morgen zwei Stunden zum Aufräumen in die Werkstatt, und man konnte ruhig so viel Geld umherliegen lassen, wie man wollte, sie rührte es nicht an – aber hinter Schnaps war sie her wie die Ratte hinterm Speck.
Ich nahm die Flasche hoch.»Natürlich, den Kognak für die Kunden haben Sie nicht angerührt – aber den guten von Herrn Köster haben Sie weggeputzt.«
Ein Grinsen huschte über Mathildes verwitterte Züge.»Alles, was recht is – Kenner bin ich. Aber werden Sie mir verraten, Herr Lohkamp? Eine schutzlose Witwe?«
Ich schüttelte den Kopf.»Heute nicht.«
Sie ließ ihre Röcke herunter.»Dann werd' ich mir mal verdrücken. Wenn Herr Köster kommt – heiliges Donnerwetter!«
Ich ging zum Schrank und schloß ihn auf.»Mathilde…«
Sie watschelte eilig heran. Ich hielt eine braune, viereckige Flasche hoch. Protestierend hob sie die Hände.»Das bin ich nich gewesen! Auf Ehre! Den hab' ich nich angerührt!«
»Weiß ich«, sagte ich und goß ein Glas voll ein.»Kennen Sie ihn denn?«
»Und ob!«Sie leckte sich die Lippen.»Rum! Steinalter Jamaika!«
»Schön. Dann trinken Sie das Glas mal aus!«
»Ich?«Sie prallte zurück.»Herr Lohkamp, das ist zuviel! Das sind ja glühende Kohlen auf mein Haupt! Die olle Stoß säuft heimlich Ihren Kognak weg, und Sie spendieren ihr da noch einen Rum drauf. Sie sind ein Heiliger, sind Sie! Lieber tot, als so was annehmen!«
»Na?«sagte ich und tat, als ob ich das Glas zurückzog.
»Alsdann!«Sie griff eilig zu.»Man muß das Gute nehmen, wie es kommt. Auch wenn man's nicht versteht. Zum Wohle! Haben Sie vielleicht Geburtstag?«
»Ja, Mathilde. Gut geraten.«
»Was, wahrhaftig?«Sie umklammerte meine Hand und schüttelte sie.»Herzlichsten Glückwunsch! Zaster in Fülle! Herr Lohkamp«- sie wischte sich den Mund -,»ich bin so gerührt – darauf muß ich unbedingt noch einen zwitschern. Wo ich Ihnen doch gern hab' wie einen Sohn.«
»Schön.«
Ich schenkte ihr noch ein Glas ein. Sie kippte es herunter und verließ lobpreisend die Werkstatt.
Ich packte die Flasche weg und setzte mich an den Tisch. Die blasse Sonne fiel durch das Fenster auf meine Hände. Merkwürdiges Gefühl, so ein Geburtstag, auch wenn man sich nichts draus machte. Dreißig Jahre – es hatte eine Zeit gegeben, da glaubte ich, nie zwanzig werden zu können, so weit weg erschien mir das. Und dann…