Daran hatte er nicht gedacht. Wie eigentlich wollten die Weasleys ihn abholen? Ein Auto hatten sie nicht mehr; ihr alter Ford Anglia war gerade auf Jagd im Verbotenen Wald von Hogwarts. Doch Mr Weasley hatte sich letztes Jahr einen Wagen des Zaubereiministeriums geliehen; vielleicht tat er dies auch heute?
»Ich glaub schon«, sagte Harry.
Onkel Vernon schnaubte in seinen Schnurrbart. Normalerweise hätte er gefragt, was für ein Auto Mr Weasley fuhr; andere Männer pflegte er danach zu beurteilen, wie groß und teuer ihre Autos waren. Doch Harry bezweifelte, daß Onkel Vernon sich mit Mr Weasley anfreunden könnte, selbst wenn dieser mit einem Ferrari vorfahren würde.
Harry verbrachte fast den ganzen Nachmittag in seinem Zimmer; er konnte es nicht mit ansehen, wie Tante Petunia alle paar Sekunden durch die Stores spähte, als ob das Radio vor einem entlaufenen Rhinozeros gewarnt hätte. Um Viertel vor fünf schließlich ging Harry nach unten ins Wohnzimmer. Tante Petunia zupfte zwanghaft die Kissen zurecht. Onkel Vernon gab vor, die Zeitung zu lesen, doch seine Winzaugen bewegten sich nicht, und Harry wußte, daß er mit gespitzten Ohren auf das Geräusch eines ankommenden Autos wartete. Dudley hatte sich in einem Sessel vergraben, die schweinsfleischigen Hände fest um den Hintern geschlungen. Harry konnte die Spannung nicht ertragen; er ging hinaus und setzte sich auf den Treppenabsatz im Flur, den Blick auf die Uhr gerichtet und das Herz erwartungsvoll und hibbelig pochend.
Doch fünf Uhr kam und ging. Onkel Vernon, der in seinem Anzug leicht schwitzte, öffnete die Haustür, spähte die Straße hinauf und hinunter und zog rasch den Kopf wieder herein.
»Sie kommen zu spät!«, raunzte er Harry an.
»Das weiß ich«, sagte Harry.»Vielleicht – ähm – stecken sie im Stau oder so.«
Zehn nach fünf… dann Viertel nach fünf… Harry wurde allmählich selbst unruhig. Um halb sechs hörte er Onkel Vernon und Tante Petunia im Wohnzimmer angespannt tuscheln.
»Keinerlei Rücksichtnahme.«
»Wir hätten ja verabredet sein können.«
»Vielleicht glauben sie, wir laden sie zum Abendessen ein, wenn sie zu spät kommen.«
Harry hörte ihn aufstehen und im Wohnzimmer auf und ab schreiten.»Sie nehmen den Jungen und verschwinden, keine Zeit für Nettigkeiten. Wenn sie überhaupt kommen. Haben vermutlich den Tag verwechselt. Diese Sorte Leute hält natürlich nichts von Pünktlichkeit. Entweder das oder sie fahren irgendeine Schrottlaube und haben eine P-«
AAAAAARRRRHH!
Harry sprang auf. Durch die Tür drang der Lärm dreier in Panik durchs Zimmer rasender Dursleys. Und schon kam Dudley mit angsterfülltem Blick in den Flur gestürzt.
»Was ist passiert?«, sagte Harry.»Was ist denn los?«
Doch Dudley schien es die Sprache verschlagen zu haben. Die Hände immer noch auf den Hintern gepreßt watschelte er, so schnell er konnte, in die Küche. Harry rannte ins Wohnzimmer.
Lautes Klopfen und Kratzen drang aus dem mit Brettern vernagelten Kamin der Dursleys, an dessen Frontseite sie ein Feuerimitat angebracht hatten.
»Was ist das denn?«, keuchte Tante Petunia, die mit dem Rücken zur Wand stand und entsetzt auf den Kamin starrte.
»Autsch! Fred, nein – zurück, zurück, irgendwas stimmt hier nicht – sag George, er soll nicht – AUTSCH! George, nein, hier ist es zu eng, geh schnell zurück und sag Ron -«
»Vielleicht kann Harry uns hören, Dad – vielleicht kann er uns hier rauslassen -«
Jemand hämmerte laut auf die Bretterverschalung hinter dem elektrischen Feuer.
»Harry? Harry, kannst du uns hören?«
Die Dursleys schlichen auf Harry zu wie ein Paar hungriger Wölfe.
»Was soll das denn?«, knurrte Onkel Vernon.»Was geht hier vor?«
»Sie haben versucht mit Flohpulver herzukommen«, sagte Harry und würgte ein Lachen hinunter.»Sie können per Feuer reisen – aber ihr habt den Kamin blockiert – einen Moment -«
Er trat auf den Kamin zu und rief durch die Bretter:
»Mr Weasley? Können Sie mich hören?«
Das Klopfen hörte auf. Drinnen im Kamin sagte jemand:»Schhh!«
»Mr Weasley, ich bin's, Harry… der Kamin ist zugenagelt. Da können Sie nicht rauskommen.«
»Verflucht!«, ertönte Mr Weasleys Stimme.»Weshalb, um Himmels willen, haben die den Kamin vernagelt?«
»Sie haben sich ein elektrisches Kaminfeuer angeschafft«, erklärte Harry.
»Wirklich?«, sagte Mr Weasley begeistert.»Ecklektisch, sagst du? Mit einem Stecker? Meine Güte, das muß ich sehen… laß mich mal nachdenken… autsch, Ron!«
Rons Stimme mischte sich nun unter die anderen.
»Was treiben wir hier? Ist was schief gegangen?«
»Wie kommst du denn darauf, Ron«, sagte Fred mit sarkastischem Unterton.»Nein, genau hier wollten wir hin.«
»Jaah, wir amüsieren uns prächtig«, sagte George, dessen Stimme so dumpf klang, als wäre sein Gesicht gegen die Mauer gepreßt.
»Jungs, Jungs…«, nuschelte Mr Weasley.»Ich versuch rauszufinden, was wir tun könnten… ja… da bleibt mir nichts anderes übrig… Harry, geh bitte ein paar Schritte zurück.«
Harry wich zum Sofa zurück. Onkel Vernon jedoch trat ein paar Schritte vor.
»Warten Sie einen Augenblick!«, brüllte er in Richtung Kamin.»Was genau wollen Sie tun -?«