Sonntag ganz früh (den 31sten August) fiel mir das Anerbieten des Herrn Czermacks plötzlich ins Gedächtniß, und mit dem Beginn des Tages suchte ich seine Wohnung auf, und ward auf das Herzlichste, von ihm und seiner Frau aufgenommen. Ich fand seinen Hauswirth den Geistlichen, beschäftiget, seine junge, schöne Frau aus der Stadt zu schicken. Auch er hieß mich recht freundlich willkommen, und sagte, daß er es für gut halte, lieber seine Frau, zu ihren in der Nähe Moskaus wohnenden Eltern abzufertigen, als hier zu behalten, und sobald sie abgereiset seyn würde, wolle er desto ruhiger mit Herrn Czermack, und mit mir, dessen Freunde, recht brüderlich leben, alle Gefahr theilen, uns mit seinem Ansehen schützen etc. Kaum war aber die Frau eine viertel Stunde abgefahren, als der Priester sich wie ein Wahnsinniger zu gebärden anfing. Er warf sich auf die Erde, raufte sich Kopf und Barthaare aus, zerschlug sich das Gesicht, schrie und heulete darüber, daß er seine Frau habe allein wegfahren lassen etc. Ich rieth ihm, ihr so schnell als möglich nachzueilen, da sie noch nicht bis zur Sastawa gekommen seyn konnte. Kaum hatte er mich begriffen, so eilte er, ohne Hut, so wie er sich von der Erde aufgerafft hatte, spornstreichs, seiner Frau nach, die er auch noch einholete, – wie ich nach einigen Monaten von ihm erfuhr. Der versprochene geheime Verbergungsort in der Kirche, blieb uns daher unbekannt. Der Sonntag verging uns ohne merkwürdige Ereignisse, da wir im Zimmer blieben, niemand fremdes sahen, und also auch nichts erfahren konnten, was in der Stadt vorging. So viel sahe ich jedoch einige Stunden nach meiner Ankunft bei Hr. Czermack ein, daß diese Straße noch weniger Sicherheit gewähre, wie die Schmiedebrücke; weil, erstens der Hr. Czermack der einzige Deutsche war, der in dieser Quergasse wohnete, und weil seine Wohnung von lauter Hurenhäusern umringt war. Auch Hr. Czerm. sah endlich ein, wie unsicher unsere Wohnung war, und darum foderte er mich auf, mit ihm zu einem in der Nähe wohnenden Lampenfabrikanten, namens Knauf zu gehen, dessen Haus einer kleinen Festung glich, und dessen zahlreiche Fabrikarbeiter, angeblich ihren Herrn sehr ergeben waren. Wir baten Herrn Knauf uns in sein Haus aufzunehmen, weil wir in unserer Wohnung Vogelfrey wären, und er für seine Person, an zwey deutsche gesunde Männer, theils Beystand, theils Aufseher, über seine Arbeiter erhalten würde. Er schlug es hartnäckig ab, und versicherte uns, daß er sich auf seine Leute verlassen könne. Nun so wird uns
schützen, sagte Hr. Cz. mir aus der Seele gesprochen. Montag Morgens ward es sehr lebhaft auf der Straße, und wir sahen Männer, Weiber und Kinder, mit Flinten, Säbel, und Pistolen bis zum Erdrücken bepacket, nach ihren Wohnungen eilen, auch zum Theil vor ihren Thüren , und wieder , welches wir uns nicht erklären konnten, da es den ganzen Vormittag fortdauerte, und wir doch auch wieder nicht auf die Straße gehen, u. fragen wollten. Nachher erfuhren wir, daß noch am Sonntage ein Bülletin erschienen war, welches befahl: Am Montag früh sollten alle männliche Einwohner Moskaus nach dem Arsenale eilen, sich dort zu bewaffnen, und dann auf die Sperlingsberge rücken sollten. Dieser Aufforderung zu folge, fanden sich viele im Kreml ein, und fanden zwar das Arsenal offen, aber niemanden der ihnen sagte, sie nehmen, und sie sich versammeln sollten? Jetzt griff jeder zu, nahm was ihm gefiel, eilte nach Hause, sagte dieses den Seinigen, und allen die ihm auf dem Heimwege begegneten; nahm Alle, selbst mit, die nur etwas tragen konnten, und so vermehrten sich die Nehmer und Träger mit jeder Stunde, bis zum Augenblick, wo die Franzosen in die Stadt zogen. Der Herr Graf Rostoptschin wußte natürlich vorher, daß das Arsenal dem Feinde in die Hände fallen wird, und rettete auf diese Weise viele Waffen, welche die Einwohner während der Invasion, versteckt, und verborgen hatten, nachher aber wieder abgeben mußten, als die russische Behörden in Moskau eingezogen waren. Zum Glück hatte das Volk kein Pulver, sonst würde viel Blut geflossen seyn, da alle Kabacken ohne Eigenthümer und waren, die Polizey bereits dem Grafen aus der Stadt gefolget war, diese große Stadt, ohne Obrigkeit blieb, jeder ungescheuet thun konnte, was er wollte, und ein großer Haufe Volks schon versammelt war, als der junge Weretschagin durch die Straßen geschleifet, und der Volkswuth – als ein Landesverräther übergeben worden war, welchen der Graf, (im Augenblick seiner Abreise) der Polizey nicht befahl. Es wäre allerdings zu wünschen, daß die Franzosen nie bis Moskau vorgedrungen wären; aber es war auch gewiß eine gnadenreiche Fügung Gottes, daß sie noch an Tage kamen, weil in dem Zustand der Anarchie, und noch durch Brandtwein erhitzten Köpfen bey aller Freyheit zu ungestörter reichlicher Plünderung, und dem allgemeinen Hasse gegen die , wäre vielleicht kein einziger Fremder am Leben geblieben; und sie würden sich auch an ihren vergriffen und in ihrer Trunkenheit unter einander viel Blut vergossen haben.