Da stand Candida auf, nahete sich, volle Glut auf den Wangen, dem Kleinen, kniete nieder und küsste ihn auf den garstigen Mund mit blauen Lippen. «Ja,» schrie nun Balthasar, wie vom Wahnsinn plötzlich erfasst, «ja, Zinnober – göttlicher Zinnober, du hast das tiefsinnige Gedicht gemacht von der Nachtigall und der Purpurrose, dir gebührt der herrliche Lohn, den du erhalten!»
Und damit riss er den Fabian ins Nebenzimmer hinein und sprach: «Tu mir den Gefallen und schaue mich recht fest an und dann sage mir offen und ehrlich, ob ich der Student Balthasar bin oder nicht, ob du wirklich Fabian bist, ob wir in Mosch Terpins Hause sind, ob wir im Traume liegen – ob wir närrisch sind – zupfe mich an der Nase oder rüttle mich zusammen, damit ich nur erwache aus diesem verfluchten Spuk!»
«Wie magst,» erwiderte Fabian, «wie magst du dich denn nur so toll gebärden aus purer heller Eifersucht, weil Candida den Kleinen küsste. Gestehen musst du doch selbst, dass das Gedicht, welches der Kleine vorlas, in der Tat vortreflich war.» – «Fabian,» rief Balthasar mit dem Ausdruck des tiefsten Erstaunens, «was sprichst du denn?» «Nun ja,» fuhr Fabian fort, «nun ja, das Gedicht des Kleinen war vortreflich, und gegönnt hab’ ich ihm Candidas Kuss. – Überhaupt scheint hinter dem seltsamen Männlein allerlei zu stecken, das mehr wert ist als eine schöne Gestalt. Aber was auch selbst seine Figur betrift, so kommt er mir jetzt nichts weniger als so abscheulich vor wie anfangs. Beim Ablesen des Gedichts verschönerte die innere Begeisterung seine Gesichtszüge, so dass er mir oft ein anmutiger wohlgewachsener Jüngling zu sein schien, ungeachtet er doch kaum über den Tisch hervorragte. Gib deine unnütze Eifersucht auf, befreunde dich als Dichter mit dem Dichter!»
«Was,» schrie Balthasar voll Zorn, «was? – noch befreunden mit dem verfluchten Wechselbalge, den ich erwürgen möchte mit diesen Fäusten?»
«So,» sprach Fabian, «so verschließest du dich denn aller Vernunft. Doch lass uns in den Saal zurückkehren, wo sich etwas Neues begeben muss, da ich laute Beifallsrufe vernehme.»
Mechanisch folgte Balthasar dem Freunde in den Saal.
Als sie eintraten, stand der Professor Mosch Terpin allein in der Mitte, die Instrumente noch in der Hand, womit er irgendein physikalisches Experiment gemacht, starres Staunen im Gesicht. Die ganze Gesellschaft hatte sich um den kleinen Zinnober gesammelt, der, den Stock untergestemmt, auf den Fußspitzen dastand und mit stolzem Blick den Beifall einnahm, der ihm von allen Seiten zuströmte. Man wandte sich wieder zum Professor, der ein anderes sehr artiges Kunststückchen machte. Kaum war es fertig, als wiederum alle, den Kleinen umringend, riefen: «Herrlich – vortreflich, lieber Herr Zinnober!»
Endlich sprang auch Mosch Terpin zu dem Kleinen hin und rief zehnmal stärker als die übrigen: «Herrlich – vortrefflich, lieber Herr Zinnober!»
Es befand sich in der Gesellschaft der junge Fürst Gregor, der auf der Universität studierte. Der Fürst war von der anmutigsten Gestalt, die man nur sehen konnte, und dabei war sein Betragen so edel und ungezwungen, dass sich die hohe Abkunft, die Gewohnheit, sich in den vornehmsten Kreisen zu bewegen, darin deutlich aussprach.
Fürst Gregor war es nun, der gar nicht von Zinnober wich und ihn als den herrlichsten Dichter, den geschicktesten Physiker über alle Maßen lobte.
Seltsam war die Gruppe, die beide, zusammenstehend, bildeten. Gegen den herrlich gestalteten Gregor stach gar wunderlich das winzige Männlein ab, das mit hoch emporgereckter Nase sich kaum auf den dünnen Beinchen zu erhalten vermochte. Alle Blicke der Frauen waren hingerichtet, aber nicht auf den Fürsten, sondern auf den Kleinen, der, sich auf den Fußspitzen hebend, immer wieder herabsank und so hinauf und hinunter wankte wie ein Cartesianisches Teufelchen[52]
.Der Professor Mosch Terpin trat zu Balthasar und sprach: «Was sagen Sie zu meinem Schützling, zu meinem lieben Zinnober? Viel steckt hinter dem Mann, und nun ich ihn so recht anschaue, ahne ich wohl die eigentliche Bewandtnis, die es mit ihm haben mag. Der Prediger, der ihn erzogen und mir empfohlen hat, drückt sich über seine Abkunft sehr geheimnisvoll aus. Betrachten Sie aber nur den edlen Anstand, sein vornehmes, ungezwungenes Betragen. Er ist gewiss von fürstlichem Geblüt, vielleicht gar ein Königssohn!» – In dem Augenblick wurde gemeldet, das Mahl sei angerichtet. Zinnober torkelte ungeschickt hin zur Candida, ergriff täppisch ihre Hand und führte sie nach dem Speisesaal.
In voller Wut rannte der unglückliche Balthasar durch die finstre Nacht, durch Sturmwind und Regen fort, nach Hause.
Viertes Kapitel