Hundertmal hatte Balthasar gefragt, was dem Referendarius denn Schreckliches geschehen, das den schwarzen Gedanken des Selbstmords in ihm rege gemacht. Da seufzte Pulcher endlich tief auf und begann: «Du kennst, lieber Freund Balthasar, meine bedrängte Lage, du weißt, wie ich all meine Hoffnung auf die Stelle des geheimen Expedienten gesetzt, die bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten offen; du weißt, mit welchem Eifer, mit welchem Fleiß ich mich darauf vorbereitet. Ich hatte meine Ausarbeitungen eingereicht, die, wie ich zu meiner Freude erfuhr, den vollsten Beifall des Ministers erhalten. Mit welcher Zuversicht stellte ich mich heute vormittag zur mündlichen Prüfung! – Ich fand im Zimmer einen kleinen, missgeschaffenen Kerl, den du wohl unter dem Namen des Herrn Zinnober kennen wirst. Der Legationsrat[58]
, dem die Prüfung übertragen, trat mir freundlich entgegen und sagte mir, zu derselben Stelle, die ich zu erhalten wünsche, habe sich auch Herr Zinnober gemeldet, er werde uns beide daher prüfen. Dann raunte er mir leise ins Ohr: ’Sie haben von Ihrem Mitbewerber nichts zu befürchten, bester Referendarius, die Arbeiten, die der kleine Zinnober eingereicht, sind erbärmlich!’ Die Prüfung begann, keine Frage des Rats ließ ich unbeantwortet. Zinnober wusste nichts, gar nichts; statt zu antworten, schnarchte und quäkte er unvernehmliches Zeug, das niemand verstand, fiel auch, indem er ungebärdig mit den Beinchen strampelte, ein paarmal vom hohen Stuhl herab, so dass ich ihn wieder hinaufheben musste. Mir bebte das Herz vor Vergnügen; die freundlichen Blicke, die der Rat dem Kleinen zuwarf, hielt ich für die bitterste Ironie. – Die Prüfung war beendigt. Wer schildert meinen Schreck, mir war es, als wenn ein jäher Blitz mich klaftertief hineinschlüge in den Boden, als der Rat den Kleinen umarmte, zu ihm sprach: ’Herrlicher Mensch! – welche Kenntnis – welcher Verstand – welcher Scharfsinn!’ – dann zu mir: ’Sie haben mich sehr getäuscht, Herr Referendarius Pulcher – Sie wissen ja gar nichts! Und – nehmen Sie es mir nicht übel, die Art, wie Sie sich zur Prüfung ermutigt haben mögen, läuft gegen alle Sitte, gegen allen Anstand! – Sie konnten sich ja gar nicht auf dem Stuhl erhalten, Sie fielen ja herab, und Herr Zinnober musste Sie aufrichten. Diplomatische Personen müssen fein nüchtern sein und besonnen. – Adieu, Herr Referendarius!’ – Noch hielt ich alles für ein tolles Gaukelspiel. Ich wagte es, ich ging hin zum Minister. Er ließ mir heraussagen, wie ich mich unterstehen könne, ihn noch mit meinem Besuch zu behelligen, nach der Art, wie ich mich in der Prüfung bewiesen – er wisse schon alles! Der Posten, zu dem ich mich gedrängt, sei schon vergeben an Herrn Zinnober! – So hat mir irgendeine höllische Macht alle Hoffnung geraubt, und ich will ein Leben freiwillig opfern, das dem dunklen Verhängnis anheimgefallen! Verlass mich!»«Nimmermehr,» rief Balthasar, «erst höre mich an!»
Er erzählte nun alles, was er von Zinnober wusste seit seiner ersten Erscheinung vor dem Tor von Kerepes; wie es ihm mit dem Kleinen ergangen im Mosch Terpins Hause; was er eben jetzt von Vincenzo Sbiocca vernommen. «Es ist nur zu gewiss,» sprach er dann «dass allem Beginnen der unseligen Missgeburt irgend etwas Geheimnisvolles zum Grunde liegt, und glaube mir, Freund Pulcher, – ist irgendein höllischer Zauber im Spiele, so kommt es nur darauf an, ihm mit festem Sinn entgegen zu treten, der Sieg ist gewiss, wenn nur der Mut vorhanden. – Darum nicht verzagt, kein zu rascher Entschluss. Lass uns vereint dem kleinen Hexenkerl zu Leibe gehen!»
«Hexenkerl,» rief der Referendarius mit Begeisterung «ja Hexenkerl, ein ganz verfluchter Hexenkerl ist der Kleine, das ist gewiss! – Doch Bruder Balthasar, was ist uns denn, liegen wir im Traume? – Hexenwesen – Zaubereien – ist es denn damit nicht vorbei seit langer Zeit? Hat denn nicht vor vielen Jahren Fürst Paphnutius der Große die Aufklärung eingeführt und alles tolle Unwesen, alles Unbegreifliche aus dem Lande verbannt, und doch soll noch dergleichen verwünschte Contrebande sich eingeschlichen haben? – Wetter! das müsste man ja gleich der Polizei anzeigen und den Maut-Ofizianten! – Aber nein, nein – nur der Wahnsinn der Leute oder, wie ich beinahe fürchte, ungeheure Bestechung ist schuld an unserm Unglück. – Der verwünschte Zinnober soll unermesslich reich sein. Er stand neulich vor der Münze, und da zeigten die Leute mit Fingern nach ihm und riefen: ’Seht den kleinen hübschen Papa! – dem gehört alles blanke Gold, was da drinnen geprägt wird!’»