Seht mich nun, Meister Abraham, wie ich, umgeschaffen zum passablen Benediktinermönch, in einem hohen, geräumigen Zimmer des Hauptgebäudes der Abtei, sitze und emsig Vespern und Hymnen ausarbeite, ja wie ich schon mitunter Gedanken notiere zu einem feierlichen Hochamt – wie sich die singenden und spielenden Brüder, die Chorknaben versammeln, wie ich emsig Proben halte, wie ich hinter dem Gitter des Chors dirigiere! In der Tat, so vergraben fühle ich mich in diese Einsamkeit, daß ich mich mit Tartini vergleichen möchte, der, die Rache des Kardinals Cornaro fürchtend, in das Minoritenkloster zu Assisi floh, wo ihn endlich nach Jahren ein Paduaner entdeckte, der sich in der Kirche befand und den verlornen Freund auf dem Chore erblickte, als ein Windstoß den Vorhang, der das Orchester verhüllte, einige Augenblicke aufhob. – Es hätte Euch selbst, Meister! so mit mir gehen können, wie jenem Paduaner, aber ich mußte Euch ja doch sagen, wo ich geblieben, Ihr könntet sonst wunder gedacht haben, was aus mir geworden. – Hat man vielleicht meinen Hut gefunden und sich gewundert, daß ihm der Kopf abhanden gekommen? – Meister! Eine besondere, wohltätige Ruhe ist in mein Inneres gekommen; sollte ich vielleicht hier am Ankerplatz gelandet sein? Als ich neulich an dem kleinen See, der in der Mitte des weitläuftigen Gartens der Abtei liegt, wandelte, und mein Bild neben mir wandelnd im See erblickte, da sprach ich: ›Der Mensch, der da unten neben mir hergeht, das ist ein ruhiger, besonnener Mensch, der nicht mehr wild umherschwirrend in vagen unbegrenzten Räumen, die gefundene Bahn fest hält, und es ist ein Glück für mich, daß der Mensch kein anderer ist, als ich selbst.‹ – Aus einem andern See schaute mich einst ein fataler Doppelgänger an. Doch still – still von dem allen. – Meister, nennt mir keinen Namen – erzählt mir nichts – auch nicht einmal, wen ich gespießt. – Aber von Euch selbst schreibt mir viel. – Die Brüder kommen zur Probe, ich schließe mein historisches Kapitel und zugleich meinen Brief. Lebt wohl, mein guter Meister, und gedenkt meiner! amp;c. amp;c. amp;c. amp;c.«
– In den fernen, wild verwachsenen Gängen des Parks einsam wandelnd, bedachte Meister Abraham das Schicksal des geliebten Freundes und wie er ihn, kaum wiedergewonnen, auf's Neue verloren. Er sah den Knaben Johannes, sich selbst in Göniösmühl vor dem Flügel des alten Onkels, der Kleine hämmerte mit stolzem Blick Sebastian Bachs schwerste Sonaten herunter, mit beinahe männlicher Faust, er steckte ihm dafür eine Tüte Zuckerwerk heimlich in die Tasche. – Es war ihm, als sei dies erst wenige Tage her und er mußte sich verwundern, daß der Knabe eben kein anderer als der Kreisler, der in ein wunderliches, launenhaftes Spiel geheimnisvoller Verhältnisse verflochten schien. Aber mit dem Gedanken an jene vergangene Zeit, an die verhängnisvolle Gegenwart, stieg das Bild seines eigenen Lebens vor ihm auf.
Sein Vater, ein strenger, eigensinniger Mann, hatte ihn beinahe mit Zwang zu der Kunst des Orgelbaues angehalten, die er selbst trieb, wie ein gewöhnliches rohes Handwerk. Er litt nicht, daß irgendein anderer, als der Orgelbauer selbst Hand anlege an das Werk, und so mußten die Lehrlinge geübte Tischler, Zinngießer usw. werden, ehe sie zu der innern Mechanik gelangten. – Genauigkeit, Dauerhaftigkeit, gute Spielart des Werks galt dem Alten für alles; für die Seele, für den Ton hatte er keinen Sinn, und merkwürdig genug sprach sich dies aus in den Orgeln, die er baute und denen man mit Recht, einen harten, spitzen Klang vorwarf. Nächstdem war der Alte den kindischen Künsteleien verjährter Zeit ganz und gar ergeben. So hatte er an einer Orgel die Könige David und Salomo angebracht, die während des Spiels wie vor Verwunderung die Köpfe drehten; so fehlte es keinem seiner Werke an paukenden, posaunenden, taktierenden Engeln, mit den Flügeln schlagenden, krähenden Hähnen u. s. w. Abraham konnte oft verdienten oder nicht verdienten Schlägen nicht anders entgehen und dem Alten eine Äußerung väterlicher Freude entlocken, als wenn er vermöge eigner Erfindungsgabe irgendeine neue Künstelei, etwa ein schärfer tönendes Kikeriki, herausgebracht für den nächsten Orgelhahn. Mit angstvoller Sehnsucht hatte Abraham die Zeit herbeigewünscht, in der er dem Handwerks-Gebrauch gemäß auf die Wanderschaft gehen sollte. Endlich kam diese Zeit heran und Abraham verließ das väterliche Haus, um nie wieder zurückzukehren.