«Ruhig«, sprach der Abt sanft und milde, indem er Kreisler's Hand faßte,»ruhig mein Sohn Johannes! – Nichts hast du gemein mit jenem Unglücklichen, den die Verirrung einer zu mächtig gewordenen Leidenschaft in das tiefste Verderben stürzte. Doch zum warnenden Beispiel mag Dir sein entsetzliches Schicksal dienen. Mein Sohn Johannes! – noch auf schlüpfrigerem Wege befindest Du Dich, als jener, drum entflieh – entflieh! – Hedwiga! – Johannes! ein böser Traum hält die Prinzessin fest in Banden, die unauflöslich scheinen, wenn ein freier Geist sie nicht durchschneidet! – Und du?«—
Tausend Gedanken gingen auf in Kreisler bei diesen Worten des Abts. Er gewahrte, daß der Abt nicht allein mit allen Begebnissen des fürstlichen Hauses zu Sieghartshof, sondern auch mit dem bekannt war, was sich dort während seines Aufenthalts zugetragen. Klar wurd' es ihm, daß die krankhafte Reizbarkeit der Prinzessin wohl in seiner Annäherung eine Gefahr befürchten lassen, an die er gar nicht gedacht, und eben diese Furcht, wer anders konnte sie hegen und darum wünschen, daß er vom Schauplatz ganz abtrete, als die Benzon? – Eben diese Benzon mußte mit dem Abt in Verbindung stehen, von seinem (Kreisler's) Aufenthalt in der Abtei unterrichtet sein und so war sie die Triebfeder alles Beginnens des ehrwürdigen Herrn. Lebhaft gedachte er aller Momente, in denen die Prinzessin wirklich, wie von einer im Innern aufkeimenden Leidenschaft befangen, erschienen, aber selbst wußte er nicht, warum bei dem Gedanken, daß er selbst der Gegenstand jener Leidenschaft sein könne, es ihn erfaßte wie Gespensterfurcht. Es war ihm als wolle eine fremde geistige Macht gewaltsam in sein Inneres dringen und ihm die Freiheit des Gedankens rauben. Prinzessin Hedwiga stand plötzlich vor ihm, und starrte ihn an mit jenem seltsamen Blick der ihr eigen, aber in dem Augenblick dröhnte ein Pulsschlag ihm durch alle Nerven, wie damals, als er zum erstenmal der Prinzessin Hand berührte. Doch war ihm auch nun jene unheimliche Angst entnommen, er fühlte eine elektrische Wärme wohltätig sein Inneres durchgleiten, er sprach leise wie im Traum:»Kleiner schalkischer Raja torpedo, neckst Du mich schon wieder und weißt doch, daß Du nicht ungestraft verwunden darfst, da ich aus reiner Liebe zu Dir Benediktinermönch geworden?«
Der Abt betrachtete den Kapellmeister mit durchbohrendem Blick, als wolle er sein ganzes Ich durchschauen, und begann dann ernst und feierlich:»Mit wem redest Du, mein Sohn Johannes?«
Kreisler wurde aber wach aus seinen Träumen; es fiel ihm ein, daß der Abt, war er von allem was sich in Sieghartshof zugetragen, unterrichtet, vor allen Dingen den weitern Verlauf der Katastrophe, die ihn fortgetrieben, wissen mußte, und wohl war ihm daran gelegen, mehr davon zu erfahren.
«Mit niemandem anders«, erwiderte er dem Abt, skurril lächelnd,»sprach ich, Hochehrwürdiger Herr, als, wie Sie ja vernommen haben, mit einer schalkischen Raja torpedo, die sich ganz unberufener Weise in unser vernünftiges Gespräch mischen und mich noch konfuser machen wollte, als ich es schon wirklich bin. – Doch aus allem muß ich ja zu meinem großen Leid gewahren, daß diverse Leute mich für eben solch' einen großen Narren halten, als den seligen Hofporträtisten Leonardus Ettlinger, der eine erhabene Person, die sich natürlicherweise aus ihm gar nichts machen konnte, nicht bloß malen wollte, sondern auch lieben und zwar so ganz ordinär, wie Hans seine Grete. O Gott! hab' ich es denn jemals an Respekt fehlen lassen, wenn ich die schönsten Akkorde griff zu schnöder Singefaselei! – Habe ich jemals unziemliche oder grillenhafte Materien aufs Tapet zu bringen gewagt von Entzücken und Schmerz, von Liebe und Haß, wenn der kleine fürstliche Eigensinn sich seltsam gebärden in allerlei wunderbaren Gemütsergötzlichkeiten, und ehrsame Leute vexieren wollte mit magnetischen Visionen? – habe ich solches jemals getan? Sagt.«—
«Doch sprachst Du, mein Johannes!«unterbrach ihn der Abt,»einst von der Liebe des Künstlers – «
Kreisler starrte den Abt an, dann rief er, indem er die Hände zusammenschlug und den Blick aufwärts richtete:»O Himmel! Das also! – Schätzbare Leute«, sprach er dann weiter, indem jenes skurrile Lächeln auf dem Antlitz wieder die Oberhand gewann und dabei die innere Wehmut die Stimme beinahe erstickte,»schätzbare Leute allzumal, habt Ihr denn nicht jemals irgendwo, sei es auch auf ordinären Brettern, den Prinzen Hamlet zu einem ehrlichen Mann, Güldenstern geheißen, sagen gehört: ›Ihr könnt mich zwar verstimmen, aber nicht auf mir spielen?‹ – Wetter! – das ist ja ganz mein Kasus! – Warum belauscht Ihr den harmlosen Kreisler, wenn der Wohllaut der Liebe, der in seiner Brust verschlossen, Euch nur mißtönt? – O Julia!«—
Der Abt schien, plötzlich von etwas ganz Unerwartetem überrascht, vergebens Worte zu suchen, während Kreisler vor ihm stand und ganz verzückt in das Feuermeer schaute, das im Abend emporgewogt.