Mister Chaplin l"adt dreizehn St"uhle auf seinen R"ucken, sieht aus wie ein Morgensternsches Stuhlschwein und starrt vor lauter Stuhlbeinstacheln: Mister Chaplin ist aus dem Gef"angnis entflohen, wo die amerikanischen Str"aflinge bekanntlich gestreifte Kleidung zu tragen haben, und erwacht morgens im Bett: verwundert und deprimiert gleiten seine schwarzen, klugen Augen "uber den gestreiften Pyjama und "uber die Gitterst"abe seines Bettes – also doch? Wieder Gef"angnis? – Nein, der Diener bringt den Kaffee. Und wie Herr Chaplin dann sofort aus dem geduckten Fl"uchtling ein feiner Herr wird, mit einer Zuckung der Schulter, einem ganz unmerklichen Zusammenreissen in den Augen: das ist schlechthin meisterhaft. Herr Chaplin muss hungrig zusehen, wie ein dicker Mann von vierundzwanzig Tellern sein Fr"uhst"uck isst; dann soll er die leeren Teller abr"aumen. Ein Blick, zwei L"offel, und Herr Chaplin beginnt mit sieghafter Geste auf den Tellern Xylophon zu spielen.
All diese Einf"alle dauern nur einen Augenblick, das geht alles ganz rasch vor"uber, wird mit den sparsamsten Mitteln exekutiert. Er hat sich hinter einem umgest"urzten K"uchentisch verbarrikadiert und bewirft seine Partner mit gebratenen Kartoffelkl"ossen: blitzschnell taucht die Assoziation „Sch"utzengraben“ in ihm auf: er ergreift zwei leere Weinflaschen, steckt den Kopf "uber den Tisch und be"augt unendlich strategisch den Feind durch dieses neue Scherenfernrohr – und blitzschnell taucht er wieder unter.
Er hat eine Komik des Nichttuns entwickelt, die ganz ungeheuerlich ist. Der Mann, der sich nicht traut, durch eine T"ur zu gehen, dreimal ansetzt und viermal umkehrt, ist noch niemals so gespielt worden wie von ihm. Er sitzt in der Heilsarmee und muss "uber irgend etwas lachen, das neben ihm vorgeht – der strafende Blick des Predigers f"allt auf ihn – Grossaufnahme: man sieht ihn fr"ohlich grinsen, und dann ist das Lachen wie mit einer Zange abgekniffen[2]. Unruhig ruckelt ein ger"uffelter Schuljunge auf seinem Platz, und ganze V"olkerschaften liegen unter dem Tisch.
Womit er das alles erreicht, ist v"ollig unbegreiflich. Manchmal nur mit einer kleinen Bewegung – er kann mit den Schultern weinen. Einmal wird einer massiert – Chaplin sieht den riesigen Bademeister und sein beklatschtes und maltr"atiertes Opfer. Er wird der N"achste sein… Und in den unergr"undlichen Augen liegt eine solche Angst, eine solche tiefe und fast tierische Furcht und dazu eine Gran Ironie, dass es so etwas gibt… Und er bewegt sich nicht, und man h"ort ihn jeden Gedanken denken.
Er ist so g"utig und so freundlich zu aller Welt! Neben ihm steht ein kleiner Spielhund aus Tuch, ein Spielzeug, wie es die Kinder haben. Eine Flasche l"auft aus und bekleckert ihm die Hosen. Ingrimmig und chokiert sieht er den Hund an. Dann stellt es sich heraus, dass es doch die Flasche war. Und leise streichelnd, mit einer unendlich zarten Bewegung bittet er das H"undchen um Verzeihung…
Der Mensch muss eine unerh"orte Beobachtungsgabe haben, ein stehlendes Auge. Er kann die Bewegungen aller Handwerke nachmachen. Einmal frisiert er den Kopf eines B"arenbettvorlegers: mit welch femininer Grazie und mit welch gelangweilter Selbstverst"andlichkeit er Kamm und B"urste handhabt und nach dem Schamponieren leicht und elegant und oberfl"achlich den nassen Kopf abtrocknet! Das zeigt die nat"urliche Komik dieses grossen K"unstlers. Wenn unsere Mimen auf der B"uhne einen Handwerker nachmachen, dann sieht man, dass sie ihn niemals beobachtet haben: so klopft kein Schuster, so schreibt kein Schreiber, so bewegt sich kein Kutscher. Chaplin kennt sie alle.
Er bekommt es fertig[3], nur durch seine Erscheinung andere Leute l"acherlich zu machen. Er braucht nur aufzutreten, mit dem kleinen H"utchen, mit dem kleinen St"ockchen, mit dem kleinen Schnurrb"artchen, watscheln auf seinen unm"oglichen Beinen – und alles drum herum[4] hat pl"otzlich unrecht, und er hat recht, und die ganze Welt ist l"acherlich geworden. Es gibt ein Bild von ihm aus dem Kriege, auf dem der Zeichner den deutschen Kaiser abgebildet hat und seine Gener"ale – mit starrenden Schnurrb"arten und furchteinfl"ossenden Helmen. Ihre Augen kullern ihnen fast aus dem Kopf, sie sehen alle auf eine Sache. Denn vor ihnen latscht[5] Chaplin durch den Saal, sich leise einen pfeifend und unbeschreiblich frech sein St"ockchen schwingend. Und der ganze Militarismus ist hinten heruntergefallen.
„All der Unsinn, den Mister Chaplin macht, kommt aus den misslingenden Versuchen, so zu sein, wie andere Leute auch.“ Er hat einmal gesehen, wie der Mixer mixt und wie er in dem Affentanz von Eisst"uckchen, Cherrycoblern[6], Silberbechern und Herumhantieren an jedem Ei kurz riecht, bevor er es in den Topf schl"agt… Aha, das macht man so. Und wenn er, Chaplin, mixt, riecht er auch an dem Ei. Aber bevor er es aufschl"agt. Das kommt in der Fixigkeit nicht so genau darauf an…[7]