Szondi 1996 –
ZUSAMMENFASSUNG
Revolution des Geistes: Genie als Sch"opfer der modernen Kultur
Nach Hannah Arendt ist die Revolution ein wesentliches Symptom der neuzeitlichen Geschichte und der modernen Subjektivit"at. Der Mensch der Moderne ist Revolution"ar, der die Welt „nach seinem Bilde“ umbilden will. Im Unterschied zu der politischen Revolution in Frankreich vollzog sich die Revolution in Deutschland haupts"achlich in der Sph"are des Geistes – in der Philosophie, Literatur und Musik. Zum Subjekt der geistigen Revolution und zum Sch"opfer der modernen Kultur wurde das Genie. Im Artikel werden die wesentlichen Z"uge der Genieidee am Beispiel von H"olderlins „Rhein“-Hymne erl"autert.
D"AMON UND D"AMONISCHES
Zu ontologischen Vorstellungen im sp"aten goetheschen Weltbild
I. V. KUMICHEV
(Kaliningrad)
Die beiden6
Konzepte des sp"aten goetheschen Weltbildes – das D"amonische und der D"amon (Daimon) – entsprechen auf den ersten Blick oppositionellen Denkfiguren: die erste – der Revolution, die zweite – der Evolution. Wenn der D"amon, „gepr"agte Form, die lebend sich entwickelt“ („Urworte. Orphisch“ [Goethe 1988, I: 359]), als individuelles Entwicklungsgesetz verstanden werden k"onne, zeige sich das D"amonische nicht als Gesetz, als die sich entwickelnde Form, sondern als Widerspruch und scheine „mit den notwendigen Elementen unseres Daseins willk"urlich zu schalten“ („Dichtung und Wahrheit“ [Goethe 1988, X: 175]).Goethe spricht vom d"amonischen Charakter der Franz"osischen Revolution und des Erdbebens von Lissabon. Er sagt Eckermann, das D"amonische manifestiere sich sowohl in den Begebenheiten, „die wir durch Vernunft und Verstand nicht aufzul"osen verm"ogen“, als auch „in der ganzen Natur, in der unsichtbaren, wie in der sichtbaren“ (2. M"arz 1831 [Eckermann 1987: 439]). Die Verwandtschaft der Revolution mit einem Naturprozess unterstreicht Goethe in „Maximen und Reflexionen“: „Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Gesetz- und Schamlosigkeit“ [Goethe 1988, XII: 380]. Wie kann aber die Natur mit der Gesetzlosigkeit der Revolution in Verbindung stehen? „Naturzustand“ bedeutet f"ur Goethe hier das Hinausgehen
In der „Belagerung von Maynz“ (25. Juli) schrieb Goethe ebenfalls in diesem Sinn: „Ich will lieber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen“ [1988, X: 391]. Hans-J"urgen Schings [2009: 62] bemerkt mit Recht, dass man, bevor man diese Aussage – sich "uber den Kontext hinwegsetzend – als Teil des typischen Diskurses des „F"urstendieners“ kennzeichne, zuerst pr"aziser bestimmen m"usse, was der Dichterf"urst unter „Ungerechtigkeit“ und „Unordnung“ verstanden hat. Die Aussage Goethes bildet das Schlusswort der Erz"ahlung von der Rettung eines in dem von deutschen Truppen wiedereroberten Mainz eingeschlossenen Revolution"ars, den die Menge zum Opfer ihrer Rache gew"ahlt hat. Die nicht gelungene Selbstjustiz vor dem Quartier des Herzogs beschreibt Goethe als „Unordnung“, die er nicht ertragen kann – deswegen rettet Goethe den ehemaligen Feind. Doch der Volkszorn scheint ihm gerechtfertigt, Goethe nennt die Wut der Menge „h"ochst verzeihlich[]“ [Goethe 1988, X: 391]. Auch „das schrecklichste aller Ereignisse“, die Franz"osische Revolution selbst, konnte Goethe als gerechtfertigt anerkennen;7
sie hatte ihren Grund in der Zerst"orung der D"amme, die die Flut des Volkszornes zur"uckhielten. Doch die Gesetzlosigkeit und die Unordnung, die sie zur Folge hatte, waren viel schrecklicher als die Ungerechtigkeit, gegen die das Volk aufgestanden war. Die Folgen der Unordnung – Tyrannei und Zerst"orung – schienen Goethe das Schrecklichste. In einem der „Venetianischen Epigramme“ schreibt er: