Читаем Русская германистика. Ежегодник Российского союза германистов. Т. 15. Революция и эволюция в немецкоязычных литературах полностью

Die Unordnung, von der Goethe schreibt, die Entmachtung der Vernunft, zeigt sich auch in Begebenheiten anderer Art, die allerdings meist als Parallelen zu den revolution"aren Vorg"angen verstanden werden k"onnen. Es sind Begebenheiten, die im aufgekl"arten Menschen leidenschaftliches Interesse an allem Mysteri"osen und Geheimnisvollen wecken. Symptomatisch scheint hier die Figur Cagliostros, die Goethe im „Gross-Cophta“ mit der Erweckung des D"amons der Revolution verkn"upft. Auch die geheimnisvollen Geschichten aus den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ heben den irrationalen und unvorhersehbaren Charakter der Revolution hervor [vgl. Conrady 1988: 109].

Das D"amonische erscheint den Menschen als Einbruch der unkontrollierbaren Zuf"alligkeit und zerst"orerischer Kr"afte, es ist aber paradoxerweise auch mit einem anderen Konzept des sp"aten Goethe eng verkn"upft, n"amlich mit dem des D"amons. „D"amon“ bedeutet f"ur Goethe die pr"aformierte und unergr"undliche Ganzheit der menschlichen Individualit"at. Er stellt zugleich das Gesetz (also die Ordnung) dar, nach dem die Entwicklung des Individuums abl"auft. Der D"amon wie auch das D"amonische wirken unabh"angig vom menschlichen Willen und oft sogar gegen ihn. Der D"amon erscheint jedoch nicht als Zuf"alligkeit, sondern als Prinzip der Gestaltung (Bildung). Er verk"orpert das Metamorphosenprinzip im Menschen, das Goethe als die M"oglichkeit der Vers"ohnung von Pr"a- und Postformationsvorstellungen angesehen hat [Canisius 1998: 114]. Gerade die Metamorphosentheorie nimmt, wenn nicht genetisch, so doch typologisch die darwinsche Evolutionstheorie vorweg. Es gilt, das Verh"altnis der Konzepte von D"amon und D"amonischem zu pr"azisieren, um den Widerspruch aufzul"osen; denn wie kann man von der Verkn"upfung zweier Konzepte sprechen, die gegens"atzlichen Prinzipien zuzuordnen sind?

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, das Verh"altnis zwischen den widerspr"uchlichen Konzepten von D"amon und D"amonischem [vgl. Schulz 1993: 179] n"aher zu erl"autern und die Frage zu beantworten, in welchem Sinn die Franz"osische Revolution f"ur Goethe etwas „D"amonisches“ war.

Im ersten Teil werde ich kurz auf das Problem der d"amonischen Natur (d.h. der Pers"onlichkeit) eingehen. Im zweiten Teil wird die Gemeinsamkeit beider Konzepte in ihrem Anteil an der Entelechie n"aher erl"autert. Abschliessend wende ich mich nach einigen Bemerkungen zum Problem der Willensfreiheit in Goethes Weltbild der Frage zu, welchen Schluss die Vorstellungen von D"amon und D"amonischem zulassen und damit der Frage, inwiefern die Franz"osische Revolution f"ur Goethe d"amonisch und unabwendbar war.

1. Das Problem der d"amonischen Pers"onlichkeit

Man ist sich allgemein dar"uber einig, dass der Hauptunterschied zwischen dem D"amonischen und dem D"amon darin liegt, dass hinter dem ersten Konzept eine "uber- oder unpers"onliche Macht steht, die von aussen kommt und dem Individuum grunds"atzlich fremd ist [Danckert 1951: 464; Kemper 2004: 448; J"ager 2013: 111]. Der D"amon dagegen ist allen Individuen als das individuelle Gesetz der Entwicklung eigen. Eine pr"azisere Beschreibung beider Konzepte sollte meines Erachtens von ihren Gemeinsamkeiten ausgehen. Einer der Punkte, in dem sich D"amon und D"amonisches "uberschneiden, ist Goethes Konzeption der d"amonischen Pers"onlichkeit.

Das D"amonische manifestiert sich f"ur Goethe in der Natur, in historischen Begebenheiten, aber auch in der Kunst und im einzelnen Menschen, genauer gesagt in bedeutenden und ausserordentlichen Pers"onlichkeiten, deren Taten „durch Verstand und Vernunft nicht aufzul"osen sind“ (siehe z. B. die Gespr"ache mit Eckermann vom 11. M"arz 1828 und vom 30. M"arz 1831 [Eckermann 1987: 461, 623–627]). Am besten lassen sich Goethes Gedanken "uber das D"amonische anhand von „Dichtung und Wahrheit“, seinen Gespr"achen mit Eckermann und „Egmont“ nachvollziehen. Vom D"amon spricht Goethe in erster Linie im Gedicht „Urworte. Orphisch“. Das Gedicht wurde im Herbst 1820 in der Zeitschrift „Zur Metamorphose“ ver"offentlicht und soll im Folgenden im Kontext von Goethes Morphologie betrachtet werden.

Forscher, die vor allem die Unterschiede zwischen den Konzepten von D"amon und D"amonischem stark machen, verwechseln die Konzepte manchmal miteinander. So betrachtet z. B. Jana J"ager [2013: 39, 42] die Figuren von Egmont und Werther als Beispiele f"ur die Wirkung des D"amons. Ihr Hauptargument daf"ur ist das Unverm"ogen beider Figuren, ihrem Schicksal zu entrinnen und „anders zu handeln“. Egmont ist aber eine ausserordentliche Pers"onlichkeit, die ihrem Schicksal weder entrinnen kann noch will. Jeder hat seinen eigenen D"amon, doch das Erhabene und das Tragische gerade dieser Figur liegt im absoluten Unverm"ogen, eine andere Handlungsweise zu denken, sowie in einer „Produktivit"at“ [Eckermann 1987: 630], einem Schaffensdrang, der sich, unabh"angig von allen Hindernissen, allen Eingriffen des Schicksals realisiert.

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