Wenn Goethe sich auch vom D"amonischen leiten l"asst, so bedeutet das keineswegs Selbstvergessenheit oder die Selbsthingabe an den Willen h"oherer Kr"afte. Vielmehr behauptet er, der Mensch k"onne und m"usse auch angesichts des D"amonischen frei handeln – nat"urlich in einem bestimmten Rahmen: er sei also verantwortlich f"ur die Verwirklichung seiner inneren Regungen.13
Am 18. M"arz 1831 "ausserte Goethe gegen"uber Eckermann: „Nur muss der Mensch […] auch wiederum gegen das D"amonische recht zu behalten suchen, und ich muss in gegenw"artigem Fall dahin trachten, durch allen Fleiss und M"uhe meine Arbeit so gut zu machen, als in meinen Kr"aften steht und die Umst"ande es mir anbieten“ [Eckermann 1987, 450–451]. Etwas fr"uher (am 11. M"arz 1828) spricht Goethe von zwei Arten der Produktivit"at: in der ersten vereinigten sich D"amon und D"amonisches, die zweite aber bleibe dem Menschen "uberlassen:Jede Produktivit"at h"ochster Art […] steht in niemandes Gewalt und ist "uber aller irdischen Macht erhaben. […] Es ist dem D"amonischen verwandt, das "uberm"achtig mit ihm tut, wie es beliebt, und dem er sich bewusstlos hingibt, w"ahrend er glaubt, er handle aus eigenem Antriebe. In solchen F"allen ist der Mensch oftmals als ein Werkzeug einer h"oheren Weltregierung zu betrachten […].
Sodann aber gibt es jene Produktivit"at anderer Art, die schon eher irdischen Einfl"ussen unterworfen ist und die der Mensch schon mehr in seiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch sich vor etwas G"ottlichem zu beugen Ursache findet. In diese Region z"ahle ich alles zur Ausf"uhrung eines Planes Geh"orige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich z"ahle dahin alles dasjenige, was den sichtbaren Leib und K"orper eines Kunstwerkes ausmacht [Eckermann 1987: 630–631].
Die letzte Verwirklichung also, die Verk"orperung, bleibt jedoch in der Gewalt des Menschen und hier kann dieser auch „gegen das D"amonische recht zu behalten suchen“. Wenn er auf seine einzig m"ogli-che Freiheit verzichtete, geriete er unter den Bann der D"amonen, die ebenfalls vom D"amon und vom D"amonischen zu unterscheiden sind. Die D"amonen, die man, im Gegensatz zur Entelechie des D"amons, als Wille interpretieren kann, dr"ucken sich in den (auch kollektiven) Affekten aus, die den Menschen seiner letzten Freiheit berauben. So spricht Goethe von Egoismus und Neid, die „als b"ose D"amonen immer ihr Spiel treiben“14
, vom D"amon der Hypochondrie (Gespr"ach mit Eckermann vom 12. M"arz 1828) [Eckermann 1987: 642], vom Gef"uhl der Schmach, das die deutsche Nation „als etwas D"amonisches ergriffen“ habe (Gespr"ach mit Eckermann vom 14. M"arz 1830) [Eckermann 1987: 679], und vom D"amon der Revolution (Gespr"ach mit Kanzler von M"uller vom 5. Januar 1831) [Goethe 1887–1919, V: 8/1]). „Aber das ist auch eben das Schwere“, sagt Goethe zu Eckermann am 2. April 1829, „dass unsere bessere Natur sich kr"aftig durchhalte und den D"amonen nicht mehr Gewalt einr"aume als billig“ [Eckermann 1987: 311]. Das Hinge-ben an die D"amonen ist das, wodurch eine Unordnung gestiftet wird, die laut Goethe grosse Gefahr in sich birgt. Das D"amonische wirkt also als positive Tatkraft nur in der Person, nur wenn es der Verwirklichung der Individualit"at dient. In der Menge, z. B. bei revolution"aren Ereignissen, wirkt es individuumsfeindlich und daher zerst"orerisch. Es stellt also keinen Widerspruch dar, dass die Franz"osische Revolution f"ur Goethe d"amonisch und zugleich Zeugnis unerlaubter Selbstvergessenheit und Verantwortungslosigkeit des Menschen und Anfang eines Zeitalters der Herrschaft des anonymen Willens war.Canisius 1998 –
Conrady 1988 –
Dahnke 1998 –
Danckert 1951 –