Ich riss die Augen wieder auf und sah unter ihrem Sitz und zwischen ihren Füßen einen seltsamen, gelbschwarzen Hund hervorschauen, der mich betrachtete. Er hatte ein hochstehendes und ein herunterhängendes Ohr, ein Auge war gelb und eins schwarz um-rahmt, als trüge er eine Augenklappe, und er hielt den Kopf schief, sah sehr komisch aus und knurrte freundlich vor sich hin.
»Was sagt er?«, fragte ich.
»Dass er es nett findet, mit dir zu reisen«, antwortete Roswitha Garisauge.
»Warum heißt er Gustavo?«, fragte ich, und sie sagte:
»Weil er aus Spanien stammt. Da heißt man so.«
Ich fragte: »Können Sie wirklich die Tiersprache verstehen?«
»Natürlich«, sagte sie, »ich habe es irgendwann bemerkt, als ich ein Kind war, aber ich habe fast nie darüber gesprochen. Die Erwach-senen glauben einem ja so was nicht, und man muss dann immer gleich den Mund halten. Ich erzähle es nur den Kindern, denn die wissen, dass es wahr ist. Du glaubst mir doch, oder?«
Sie sah mich an, und Gustavo kroch unter ihrem Sitz hervor, schnüffelte an meinen Beinen und wedelte mit einem langen dünnen Schwänzchen.
»Darf ich ihn anfassen?«, fragte ich, und er sagte: »Ja.«
»Er hat Ja gesagt!«, rief ich.
»Ja, natürlich hat er das«, lachte Roswitha Gansauge. »Siehst du, du verstehst ihn auch.«
Ich war völlig aufgeregt und streichelte Gustavos weichen kleinen Kopf. »Aber ich habe noch nie Tiere sprechen hören!«, sagte ich, und sie meinte:
Ich sah unter ihrem Sitz und zwischen ihren Füßen einen seltsamen, gelbschwarzen Hund hervorschauen.
»Vielleicht hast du nie richtig hingehört. Was für Tiere kennst du denn?«
Ich kannte den weißen Spitz von Frau Wese-mann, der hoch und schrill bellte und meine Tante Kläre einmal ins Bein gebissen hatte, ich kannte die müde alte Katze von Oma Krüger, die auf dem Tisch saß und mit Oma Krüger vom selben Teller aß, ich kannte den himmel-blauen Wellensittich von meiner Freundin Inge, der »Koko ist lieb« und »Koko Koko Küsschen« sagen konnte, und � und � ?
»Du kennst also kein Tier richtig gut und nah«, stellte Roswitha Gansauge fest, und ich musste zugeben: »Nein.«
Sie fragte: »Warum hat ein kleines Mädchen wie du keinen Hund oder eine Katze?«
»Weil meine Mutter immer sagt >sonst noch was<«, erklärte ich, und sie fragte:
»Und dein Vater?«
Ich schwieg und dachte an meinen Vater, der nur ab und zu an den Sonntagen mal vorbei-kam, mich mit dem Auto abholte und mit mir ins Siebengebirge fuhr. Dann aßen wir auf dem Drachenfels eine Hühnersuppe, er machte
Zauberkunststücke mit Geld, Taschentüchern und der Speisekarte und fragte: »Und, was macht deine Mutter so?«, und sagte sofort hin-terher: »Sag ihr aber nicht, dass ich nach ihr gefragt habe.« Ich sah aus dem Fenster und tat so, als müsste ich über einen Hund, der an einer Kette bellte, ein bisschen weinen. Auf einer Blechbude stand »Glashütte«, und unter einer Glashütte stellte ich mir nun wahrhaf-tig etwas anderes vor � das Leben schien mir voller Enttäuschungen zu sein.
»Verstehe«, sagte Roswitha Gansauge,
»Gustavo, erzähl Katharina mal, woher du kommst.«
Gustavo legte seine kleine Schnauze zärt-lich in meine Hand, wedelte, schaute mich sehr freundlich an und sagte: »Das ist viel zu traurig. Das erzähle ich nicht.«
»Ja«, sagte Roswitha Gansauge, »das ist wirklich sehr traurig, Gustavo lag als kleiner Hund in einer Mülltonne. Ich ging vorbei und hör-te, wie er >Hilfe! < rief, und seitdem sind wir Freunde.«
»Wie kommt denn ein kleiner Hund in eine
Mülltonne?«, fragte ich und streichelte den seltsam gemusterten Kopf von Gustavo.
»Tja«, sagte Roswitha Gansauge, »das frage ich mich auch. Von allein und freiwillig jedenfalls nicht, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich sah wieder aus dem Fenster, und da waren grüne Wiesen mit Schafen und Kühen, und ich überlegte, ob Roswitha Gansauge mit denen auch reden korinte und ob mein Orikel Hans wohl wusste, dass Tiere eine Sprache haben.
Ich fragte: »Kann ich nur mit Gustavo reden, oder werde ich die Sprache der Tiere auf dem Hof von Onkel Hans auch verstehen?«
»Natürlich wirst du das«, sagte Roswitha Gansauge, »du musst nur etwas Geduld haben und genau hinhören, dann verstehst du sie. Da bin ich ganz sicher.« Und sie strahlte mich an, Gustavo wedelte, und mir wurde ordentlich heiß vor Glück, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen, und dabei ist es vierundvier-zig Jahre her.
Sonst weiß ich nur noch von der Fahrt, dass wir die ganze Zeit geredet haben. Ich erzählte
Ich ging vorbei und hörte, wie er »Hilfe« rief.
von meiner Mutter, die mich nur so ungern hatte reisen lassen, von Onkel Hans, von den Hühnern mit den komischen Namen und von Gürtelchen. Wir überlegten, wie die andere Ziege wohl heißen würde, und Roswitha Gansauge fragte:
»Wie heißt eigentlich deine Mutter?«
»Gertrud«, sagte ich und wunderte mich dar-
über, dass sie mich so etwas fragte.