»Ma’am?« Er lief auf sie zu. »Ist alles in Ordnung?«
Die Frau fiel hintenüber, und ihre linke Hand, mit der sie Halt gesucht hatte, fegte ein ganzes Regal mit Kaffeedosen leer, die auf den Boden kollerten. Auf jeder Dose stand:
MAXWELL HOUSE
Es ging alles so schnell, daß er gar nicht erst Angst bekam - um sich selbst sowieso nicht -, aber da war eine Sache, an die er später immer wieder denken mußte und die ihn bis in seine Träume verfolgte. Ihre Augen waren plötzlich völlig stumpf und ausdruckslos geworden, so wie Charlies Augen während seiner Anfälle.
Die Frau fiel zu Boden und hustete schwach. Ihre Füße, die in schweren Lederschuhen mit Salzrändern an den Hacken steckten, trommelten auf den Kachelfußboden. Eine Frau, die hinter ihm stand, schrie auf. Ein Angestellter, der gerade einige Suppendosen mit Preisschildern versah, ließ seinen Stempel fallen und rannte den Gang entlang. Zwei von den Kassenmädchen kamen zum Kopfende des Ganges und starrten mit weit aufgerissenen Augen zu ihnen herunter.
Er hörte sich sagen: »Ich glaube, sie hat einen epileptischen Anfall.«
Aber das stimmte nicht. Es war kein epileptischer Anfall, sondern eine Gehirnblutung, und der Arzt, der gerade mit seiner Frau einkaufen war, stellte ihren Tod fest. Der junge Arzt wirkte sehr ängstlich, so als hätte er gerade erst erfahren, daß sein Beruf ihn mit dem Tod in Verbindung brachte wie ein rachsüchtiges Horrormonster. Als er seine Untersuchung beendet hatte, hatte sich eine mittelgroße Menge um die Frau versammelt, die jetzt inmitten der heruntergefallenen Kaffeedosen lag, den letzten Dingen dieser Welt, mit denen sie in Berührung gekommen war. Jetzt war sie in eine andere Welt hineingetreten, und andere Menschen würden für sie handeln. Ihr Einkaufswagen war mit Vorräten für eine Woche angefüllt, und bei dem Anblick der Schachteln, Dosen und eingepackten Fleischwaren fuhr ihm plötzlich ein scharfer, schmerzvoller Stich des Entsetzens durch den Körper.
Er fragte sich, was nun wohl mit ihren Lebensmitteln passieren würde. Ob man sie einfach in die Regale zurückstellte?
Oder würde man sie neben dem Büro des Abteilungsleiters aufbewahren, bis jemand sie bezahlte? Als Beweis dafür, daß die Dame des Hauses mitten aus dem Leben herausgerissen worden war?
Jemand hatte einen Polizisten gerufen, der sich jetzt durch die Menge bei den Kassen drängte. »Vorsicht«, rief er mit wichtigtuerischer Miene. »Machen Sie ihr Luft!« Als ob sie die noch brauchen könnte.
Er drehte sich um und wand sich aus der Menge heraus, wobei er sich mit den Schultern den Weg freibahnte. Die Ruhe, die er während der letzten fünf Tage so genossen hatte, war dahin. Wahrscheinlich für immer. Hatte es je ein deutlicheres Omen gegeben? Sicher nicht. Aber was hatte es zu bedeuten? Was nur?
Als er nach Hause kam, schob er die TV-Dinners ins Gefrierfach und mixte sich einen starken Drink. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Den ganzen Weg vom Supermarkt nach Hause hatte er darüber nachdenken müssen, was sie damals mit Charlies Kleidern gemacht hatten.
Seine Spielsachen hatten sie zu einem Wohltätigkeitsladen in Norton gebracht, und die tausend Dollar von seinem Sparbuch - sein Collegegeld, sie hatten immer die Hälfte von all dem Geld, das er von den Verwandten zu Weihnachten und zu seinem Geburtstag bekommen hatte, trotz Heulens und Protesten seinerseits auf dieses Konto überwiesen - hatten sie auf ihr gemeinsames Konto umbuchen lassen. Sein Bett hatten sie auf Mamma Jeans Rat hin verbrannt. Er hatte damals nicht so ganz eingesehen, warum, aber er hatte nicht den Mut gehabt, sich dagegen aufzulehnen. Eine ganze Welt war um ihn zusammengebrochen, da sollte er um ein paar Sprungfedern und Matratzen kämpfen? Aber die Kleider, das war eine ganz andere Sache. Was hatten sie mit Charlies Kleidern gemacht?
Die Sache beschäftigte ihn den ganzen Nachmittag, bis er ganz nervös wurde. Beinahe hätte er Mary angerufen und sie danach gefragt, aber das wäre wohl das letzte Tüpfelchen auf dem i gewesen. Dann hätte sie nicht mehr raten müssen, in welcher geistigen Verfassung er sich befand.
Kurz vor Sonnenuntergang kletterte er auf den kleinen Dachboden hinauf, den man durch eine Falltür erreichte, welche in die Decke vom Ankleidezimmer des ehelichen Schlafzimmers eingelassen war. Er mußte sich auf einen Stuhl stellen und hochziehen. Schon seit ewigen Zeiten war er nicht mehr da oben gewesen, aber die Hundert-Watt-Birne brannte noch. Sie war dick mit Staub und Spinnweben bedeckt, aber sie brannte.
Er öffnete einen der verstaubten Kartons und entdeckte all seine Highschool-und College-Jahrbücher, die ordentlich darin verstaut waren. Auf jedem Highschool-Jahrbuch waren folgende Worte eingestanzt:
DER ZENTURIO
Die College-Jahrbücher waren schwerer und besser gebunden. Auf ihrem Deckel war eingestanzt:
DAS PRISMA