Um Viertel vor zwölf kam das Taxi. Drake fragte ihn nochmals, ob er allein zurechtkomme.
»Ja, ich glaube, ich komme jetzt wieder runter.« Das stimmte. Die Halluzinationen wurden langsam weniger und verschwanden wieder in seinem Hinterkopf.
Drake öffnete die Haustür und schlug den Mantelkragen hoch. »Denken Sie nicht mehr an Selbstmord. Es ist feige.«
Er nickte lächelnd, diesen Rat weder abweisend noch annehmend. Er nahm ihn einfach hin wie alles in der letzten Zeit. »Ein gutes neues Jahr«, sagte er.
»Ihnen auch, Mr. Dawes.«
Das Taxi hupte ungeduldig.
Drake ging hinaus, und er folgte dem gelben Taxilicht mit den Augen, als es wegfuhr.
Dann ging er ins Wohnzimmer zurück und setzte sich wieder vor den Fernseher. Sie hatten jetzt von Guy Lombardo auf den Times Square umgeschaltet. Die leuchtende Kugel war schon oben auf dem Allis-Chalmers-Gebäude montiert und wartete darauf, ihr strahlendes Licht über das Jahr 1974 zu ergießen. Er war müde, ausgelaugt, schläfrig.
Die Lichtkugel würde nun bald fallen, und er segelte mit einem verdammten Trip ins neue Jahr hinüber. Irgendwo in Amerika schob jetzt ein Neujahrsbaby seinen plazentaverschmierten Kopf aus dem Schoß seiner Mutter und begab sich damit in die beste aller möglichen Welten. Auf Walter Hamners Party würden alle Gäste jetzt ihr Glas erheben und langsam mitzählen. Man würde gute Vorsätze für das neue Jahr fassen, die sicher nicht nutzbringender als nasses Klopapier waren. Spontan faßte er seinen eigenen Vorsatz und sprang trotz seiner Müdigkeit auf die Füße. Sein Körper schmerzte, und seine Wirbelsäule fühlte sich an, als wäre sie aus Glas - das mußte schon der Kater sein. Er ging in die Küche und nahm den Hammer vom Regal. Als er damit ins Wohnzimmer zurückkam, rollte die Lichtkugel gerade den Pfahl hinunter. Der Bildschirm zeigte ein geteiltes Bild - auf der einen Seite war der Times Square zu sehen, auf der anderen die lustige Gesellschaft im Waldorf, die den Countdown mitsang: »Acht … sieben … sechs … f ü n f … « Eine fette Lady entdeckte sich selbst auf dem Monitor, lächelte verdutzt und winkte dann ihrem Lande zu.
Der Jahreswechel, dachte er. Absurd, aber er spürte plötzlich eine Gänsehaut auf seinen Armen.
Die Kugel war unten angekommen, und oben auf dem Allis-Chalmers-Gebäude flammten Leuchtziffern auf: 1974
Im selben Augenblick holte er mit dem Hammer aus, und der Bildschirm explodierte. Glassplitter spritzten auf den Teppich. Die heißen Drähte zischten, fingen aber kein Feuer. Um sicherzugehen, daß der Fernseher nicht in der Nacht aus Rache das Haus in Brand stecke, schlug er mit dem Fuß den Stecker raus.
»Frohes neues Jahr«, sagte er leise und ließ den Hammer fallen.
Dann legte er sich aufs Sofa und schlief fast augenblicklich ein. Er hatte das Licht angelassen. In dieser Nacht hatte er keine Träume.
Dritter Teil
JANUAR
Finde ich keinen Unterschlupf,
Oh, dann werde ich vergehen …
ROLLING STONES
5.
Die Sache, die sich an diesem Tag im Supermarkt ereignete, schien das einzige in seinem Leben zu sein, das wirklich für ihn geplant, für ihn gedacht und nicht bloß zufällig war. Es war, als hätte ein unsichtbarer Finger eine Botschaft auf einen seiner Mitmenschen geschrieben, die ausdrücklich nur für ihn bestimmt war.