Mary erinnerte ihn auf unangenehme Weise an die Geschichten von H. P. Lovecraft, die er als Kind gelesen hatte, besonders die Chtulu-Mythen, in denen vollkommen normale Menschen auf Verlangen des Ältestenrates in fischartige, kriechende Wesen verwandelt wurden. Ihre Gesichtshaut wurde auf einmal schuppig, und sie sah aus wie ein Aal.
»Nicht so wichtig«, antwortete er ängstlich. »Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Hör auf, mir auf die Nerven zu gehen; ich belästige dich ja schließlich auch nicht.«
Sie zuckte zusammen. Ihr Gesicht wurde wieder das alte Marygesicht, das ihn jetzt verletzt und mißtrauisch ansah.
Sie tat ihm leid. Die Party brandete in lauten Wogen um sie herum. »Wie du willst, Bart«, sagte sie ruhig. »Du kannst dir auf jede Weise schaden, die dir gefällt, aber bring mich bitte nicht in Verlegenheit. Darf ich wenigstens das von dir verlangen?«
»Ja, natürlich, du k …«
Aber sie wartete seine Antwort nicht ab. Sie drehte sich um und ging in die Küche, ohne sich noch einmal nach ihm um-zusehen. Es tat ihm leid, aber er war auch erleichtert. Doch was würde passieren, wenn jemand anderes sich mit ihm unterhalten wollte? Sie würden es ja alle sofort merken. Er konnte im Augenblick keine normale Unterhaltung führen.
Er konnte den Leuten kaum vormachen, daß er nur betrunken sei.
»Rrrriet«, sagte er und rollte das R genüßlich zwischen Gaumen und Zunge. Diesmal kamen die Noten in einer Reihe von Achtelnoten, die mit ihren Fähnchen auf einer einzigen Notenlinie entlangeilten. Er konnte die ganze Nacht Noten produzieren und dabei glücklich sein, es würde ihm nichts ausmachen. Aber nicht hier, wo jeder, der gerade vorbeikam, ihn ansprechen konnte. Er brauchte einen ruhigen Ort, an dem er sich selbst denken hören konnte. In dem Partylärm hatte er das Gefühl, als stünde er hinter einem Was-serfall. Er war zu laut, um dagegen anzudenken. Er wollte sich lieber einen stillen Tümpel suchen, vielleicht bei einem Radio. Er hatte das Gefühl, daß Musik seine Gedanken beflü-
geln würde, und er mußte über eine Menge Dinge nachdenken. Ganze Bände von Dingen.
Außerdem war er sicher, daß die Leute ihn insgeheim beobachteten. Mary mußte die Nachricht verbreitet haben.
Ein Mann mit einem riesigen Drink kam mit leicht schwankenden Schritten an ihm vorbei. Er packte ihn an seiner Sportjacke und fragte mit heiserer Stimme: »He, was reden die da über mich?«
Der Mann lächelte betrunken und blies ihm seine warme Scotchfahne ins Gesicht. »Ich werd’s Ihnen aufschreiben«, sagte er und ging weiter.
Endlich fand er Walters Bibliothek (er hatte keine Ahnung, wie lange das gedauert hatte), und als er die Tür hinter sich schloß, wurde der Lärm abgeschnitten. Gesegnete Ruhe. Er bekam große Angst. Der Trip hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht; die Eindrücke wurden immer stärker. Er schien das Wohnzimmer im Laufe eines Lidschlages durchquert zu haben; nur einen weiteren Augenaufschlag hatte es gedauert, das Schlafzimmer zu untersuchen, in dem die Mäntel abgelegt waren; mit dem dritten Augenaufschlag war er durch den Flur gewandert. Die normale Kette der Ereignisse, wie man sie im Wachsein erlebt, war durchgeschnitten, und die Perlen der Realität waren in alle Richtungen verstreut. Es gab keine Kontinuität mehr, und sein Zeitgefühl war völlig zerstört. Wenn er nun niemals runterkam? Wenn es ewig so bleiben würde? Vielleicht sollte er sich auf dem Sofa zusammenrollen und den Trip ausschlafen, aber er war nicht sicher, ob er das könnte. Und wenn er es tat, Gott weiß, was für Träume er dann haben würde. Die leichtherzige, spontane Art, mit der er die Pille geschluckt hatte, stieß ihn jetzt ab. Dies war ganz anders als betrunken zu sein. Es gab keinen letzten nüchternen Zufluchtsort mehr, keinen inneren Kern in seiner Mitte, der niemals betrunken wurde. Er war durch und durch verrückt.
Aber hier drinnen war es besser. Vielleicht konnte er hier von selbst wieder die Kontrolle über sich gewinnen. Und wenn er ausflippen sollte, würde er wenigstens nicht …
»Guten Abend.«