»Den würd’ ich sofort nehmen, wenn man ihn mir anböte.« Er lächelte fröhlich, doch dann wurde er ernst. »Kommen Sie mit mir nach draußen, Mr. Dawes. Ich werde dafür sorgen, daß man sich auch Ihren Standpunkt anhört. Ich werde …«
»Es gibt keinen Standpunkt.«
Albert runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Ich habe keinen Standpunkt. Darum mache ich das hier ja.« Er spähte über den Sesselrand und blickte direkt in eine Kameralinse, die im Vorgarten der Quinns auf einem Dreifuß aufmontiert war. »Gehen Sie jetzt. Und sagen Sie ihnen, daß sie weggehen sollen;.«
»Wollen Sie das Ding da tatsächlich zünden?«
»Ich weiß es wirklich noch nicht.«
Albert ging zur Wohnzimmertür und drehte sich dann noch einmal um. »Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor.
Warum habe ich bloß immerzu das Gefühl, ich würde Sie kennen?«
Er schüttelte den Kopf. Seiner Meinung nach hatte er Albert noch nie im Leben gesehen.
Während er den Nachrichtenreporter beobachtete, der leicht geduckt über die Straße lief, um das Blickfeld der Kamera nicht zu verstellen, fragte er sich, was Olivia wohl in diesem Augenblick machte.
Er wartete eine Viertelstunde. Die Schüsse waren wieder häufiger geworden, aber niemand hatte sein Haus von hinten überfallen. Der Beschüß sollte wohl nur ihren Rückzug in die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite decken.
Das Kamerateam blieb die ganze Zeit an derselben Stelle stehen und drehte gelassen. Dann fuhr der weiße Ford-Laster in den Vorgarten der Quinns, und der Mann hinter der Kamera faltete den Dreifuß zusammen, verzog sich damit hinter den Laster und fing von dort wieder zu filmen an.
Dann flog ein röhrenförmiges, schwarzes Etwas durch die Luft, landete mitten in seinem Vorgarten und verströmte allmählich ein paar Gaswolken. Der Wind griff sie auf, blies sie die Straße hinunter ud verteilte sie gleichmäßig in der Luft.
Eine zweite Bombe flog zu kurz, und eine weitere landete auf dem Dach. Als sie in Marys Begonien hinabfiel, atmete er ein paar Züge von dem Gas ein. Seine Augen und seine Nase füllten sich mit Krokodilstränen.
Noch einmal kroch er auf Händen und Knien durchs Wohnzimmer und betete zu Gott, daß er dem Nachrichtenmann, Albert, nichts gesagt hatte, das man ihm als tiefsinnig auslegen konnte. Auf dieser Welt gab es keinen Platz, an dem man seinen Standpunkt wirklich vertreten konnte. Nehmen wir zum Beispiel Johnny Walker, der bei einem sinnlosen Autounfall ums Leben gekommen war. Wozu war er gestorben?
Damit die Wäsche rechtzeitig ausgeliefert wurde? Oder diese Frau im Supermarkt. Das, was man am Ende herauskriegte, lohnte nie den Einsatz.
Er schaltete die Stereoanlage ein, überrascht, daß sie noch funktionierte. Die Rolling-Stones-Platte lag immer noch auf dem Plattenteller. Er wollte die Nadel vor dem letzten Lied auflegen, traf aber das erste Mal daneben, als eine Kugel in die Decke über dem Fernseher einschlug.
Als er sie richtig aufgesetzt hatte und die letzten Akkorde von ›Monkey Man‹ im Nichts verklangen, lief er zu seinem umgekippten Sessel zurück und warf die Weatherbee aus dem Fenster. Dann hob er die Magnum auf und warf sie hinterher. Leb wohl, Nick Adams.
»Du kannst nicht alles kriegen, was du dir wünschst«, sangen die Rolling Stones, und er wußte, wie wahr das war.
Aber das hielt einen nicht vom Wünschen ab. Eine Tränengasbombe flog im Bogen durchs Fenster und explodierte.
»Aber wenn du es versuchst, dann findest du vielleicht heraus, daß du das kriegst, was du brauchst.«
Na gut, Fred, jetzt wollen wir mal sehen, wie das geht. Er griff nach der roten Krokodilklemme. Jetzt werden wir sehen, ob ich das kriege, was ich brauche.
»In Ordnung«, murmelte er laut und klemmte die rote Klammer am Negativpol fest.
Er schloß die Augen, und sein letzter Gedanke auf dieser Welt war, daß die Explosion nicht um ihn herum sondern in ihm selber stattfand, und obwohl sie verheerende Auswir-kungen hatte, war sie nicht größer als eine mittelgroße Walnuß.
Dann wurde alles weiß.
EPILOG
Das WHLM-Nachrichtenteam gewann für seine fünfminütige Berichterstattung über - wie sie es nannten - ›Dawes letzte Aussage‹ in den Abendnachrichten und für eine halbstündige Dokumentation, die drei Wochen später gesendet wurde, den Pulitzer-Preis. Die Dokumentation hieß ›Straßenbau‹ und befaßte sich mit der Notwendigkeit - bezie-hungsweise der Überflüssigkeit - der 784-Autobahn. Das Team machte vor allem darauf aufmerksam, daß die Gründe für den Ausbau weder mit der Erweiterung des Straßennetzes noch mit der Verkehrsberuhigung zu tun hatten und daß auch sonst keine praktischen Absichten dahinterstünden.
Die Stadtverwaltung mußte eine bestimmte Anzahl von Autobahnkilometern pro Jahr bauen, um die vom Staat dafür be-willigten Gelder zu verbrauchen. Andernfalls würde sie alle öffentlichen Zuwendungen für den Straßenbau verlieren.