»Ist jemand zur Kreuzung rausgefahren, um die Wäsche einzusammeln?«
Sie sah ihn ein bißchen vorwurfsvoll an. »Tom hat Harry Jones rausgeschickt. Er hat sie vor fünf Minuten hergebracht.«
»Gut«, sagte er, aber es war nicht gut. Es war schlecht. Am liebsten wäre er runtergegangen und hätte so viel Reinigungslösung in die Maschinen gepumpt, daß die Wäsche auseinandergefallen wäre - wenn Pollack dann nach dem Schleudergang die Tür öffnete, würde ihm nur ein Haufen eintönig grauer Filzmasse entgegenkommen.
Phyllis hatte etwas gesagt, aber er hatte nicht zugehört.
»Wie? Entschuldigen Sie bitte.«
»Ich sagte, daß Mr. Ordner angerufen hat. Er möchte, daß Sie ihn sofort zurückrufen. Und dann hat noch ein Mann namens Harold Swinnerton angerufen und gesagt, daß die Patronen eingetroffen wären.«
»Harold …?« Doch dann erinnerte er sich. Harve/s Waffengeschäft. Nur daß Harvey, genau wie Marley, so tot war wie ein Türnagel. »Ja, danke, in Ordnung.«
Er schloß die Bürotür hinter sich und ging an den Schreibtisch. Die Plakette auf der Tischplatte sagte immer noch: DENK NACH!
Er riß sie herunter und warf sie in den Papierkorb, Kling.
Dann setzte er sich in seinen Drehsessel, nahm alle Eingangspost aus dem Korb und warf sie ungelesen in den Papierkorb. Danach blickte er sich ziellos im Büro um. Die Wände waren holzgetäfelt. An der linken hingen zwei eingerahmte Zeugnisse: das eine war sein Collegediplom, das andere von Wäschereilehrgängen, an denen er 1969 und 1970 teilgenommen hatte. Hinter dem Schreibtisch hing eine Großaufnahme von ihm und Ray Tarkington auf dem Parkplatz der Wäscherei, der gerade frisch asphaltiert worden war. Sie schüttelten sich lachend die Hand. Hinter ihnen war die Wäscherei zu sehen, in deren Ladezone stolz drei Lastwagen standen. Und der Fabrikschlot sah immer noch strahlend weiß aus.
Seit 1967 saß er in diesem Büro, über sechs Jahre. Das war noch vor Woodstock, vor Kent State, vor der Ermordung von Robert Kennedy und Martin Luther King, ja noch vor Nixon.
Jahre seines Lebens hatte er zwischen diesen vier Wänden verbracht. Millionen von Atemzügen und Millionen von Herzschlägen. Er sah sich um und fragte sich, ob er dabei etwas fühlte. Ein schwacher Anflug von Trauer. Das war alles.
Er räumte seinen Schreibtisch aus. Persönliche Aktennoti-zen und seine persönliche Buchhaltung warf er weg. Dann schrieb er seine Kündigung auf die Rückseite eines vorgedruckten Rechnungsformulars und steckte sie in einen Briefumschlag. Die unpersönlichen Bürosachen ließ er liegen - die Büroklammern, Tesafilm, die dicken Scheckbücher, den Stapel leerer Stechkarten, der mit einem Gummiband zusammengehalten wurde.
Er stand auf, nahm die beiden Zeugnisse von der Wand und warf sie in den Papierkorb. Die Glasplatte vom Rahmen des Collegediploms zersplitterte. Die Rechtecke, über denen die beiden Rahmen über Jahre hinweg gehangen hatten, waren etwas heller als die restliche Wand. Und das war alles.
Das Telefon klingelte, und er nahm den Hörer ab in der Erwartung, Stephan Ordner zu hören. Aber es war Ron, der ihn von unten anrief.
»Bart?«
»Ja?«
»Johnny ist vor einer halben Stunde gestorben. Ich glaube, er hatte von Anfang an keine Chance.«
»Das tut mir sehr leid. Ich möchte, daß du den Laden für den Rest des Tages schließt, Ron.«
Ron seufzte. »Ich glaube auch, das ist das beste. Aber kriegst du dann nicht eine Menge Ärger mit deinen großen Bossen?«
»Ich arbeite nicht mehr für die großen Bosse. Ich habe gerade meine Kündigung unterschrieben.« So, jetzt war es draußen. Das machte es real.
Am anderen Ende herrschte einen Augenblick Schweigen.
Er konnte die Waschmaschinen und das Gezische der Heißmangel hören. Den Würger nannten sie sie immer in Anbetracht dessen, was einem passierte, wenn sie einen erwischte.
»Ich hab’ mich wohl gerade verhört«, sagte Ron. »Es hörte sich so an, als hättest du …«
»Genau das habe ich gesagt, Ron. Ich bin hier mit allem fertig. Es war sehr schön, mit dir und Tom zu arbeiten, und sogar mit Vinnie Mason, wenn er mal sein Maul halten konnte.
Aber nun ist’s vorbei.«
»He, hör mal, Bart, reg dich nicht so auf. Ich weiß, wie sehr dich das alles mitgenommen hat, aber …«
»Es ist nicht wegen Johnny«, unterbrach er ihn, aber er wußte selber nicht, ob das stimmte oder nicht. Vielleicht hätte er tatsächlich noch eine Anstrengung unternommen, sich zu retten. Sich und das Leben, das er die letzten zwanzig Jahre lang unter dem beschützenden Schirm der täglichen Routine geführt hatte. Aber als dieser Priester so rasch an ihm vorbeigelaufen, ja fast gerannt war, um noch rechtzeitig zu dem sterbenden Johnny Walker zu gelangen, der vielleicht schon tot war, als er den hohen, wimmernden Ton von Arnie Walker gehört hatte, da hatte er endgültig aufgegeben.
Wie ein Autofahrer, der einen ins Schleudern geratenen Wagen steuert, oder sich jedenfalls einbildet, ihn zu steuern, und dann plötzlich die Hände vom Lenkrad reißt und das Gesicht darin verbirgt.