Im sowjetischen Milieu sperrte der kriegerische Atheismus fur lange Zeit das Eforschen des slawischen Heidentums: der kritische Eifer der Marxisten wandte sich an die Hauptfeinde — das Christentum und Islam. Aber kurz vor den GroBen Patriotischen Krieg in Zusammenhang mit der generellen Forderung des Patriotismus im Lande nahm das Interesse zum Heidentum wieder auf. Da waren vier Auffassungen des slawischen Heidentums geschaffen, und in alien vier wurde das Schwergewicht von den Materialien der Geschichte auf Ethnographie und Archaologie verlagert.
Die erste Auffassung wurde von offiziellen Hauptfiguren der sowjetischen Wissenschaft entwickelt — von Akademiemitglieder B. D. Grekow und Boris A. Rybakow. Nach dieser Konzeption besassen die Slawen seit l^ngem dieselbe Territorien als jetzt und schufen einige Tausende Jahre vor uns Pflugackerbau, Staatsorganisation and entwickelte heidnische Religion, die sehr nah an das Christentum herangekommen war.
Die zweite Auffassung wurde von Prof. Wladimir Propp vorgeschlagen, dem Griinder der sowjetischen Semiotik und Fiihrer des Strukturalismus, der in der Stalinzeit in Ungnade verweilte. Nach dieser Auffassung enthielten russische Kalenderfeste verschiedener Jahreszeiten viele gemeinsame.
Komponente wegen Ahnlichkeit der bauerlichen Haptarbeiten. Und da in diesen Festen es keine entwickelten Gotter gab, nahm Propp an, daB das russische Heidentum sie iiberhaupt nicht hatte — es besitze ein besonders archaische Charakter (wie bei Anitschkow, Niederle und Wesselowsky). Kupalo, Jarilo u. a. sind nur «unterentwickelte Gotter».
Die Ansichten von Propp gaben dem Werke von Dmitrij Selenin, der gerade mit der retrospektiven Methode Demonologie studierte, eine weitere Bedeutung. Selenins I^achfolger war der Akedemiemitglied Nikita I. Tolstoj, ein Urenkel von Leo Tolstoj. Der bildete eine einfluBreiche Schule von Ethnographer und Ethnolinguisten. So entstand eine dritte Konzeption des slawischen Pagantums, die auf die Rekonstruktion der alten slawischen Religion nur mit Materialien von Ethnographie gerichtet war. Selbstverstandlich, konnte solche Art der Forschung auf die vergangene Zeit nur das projezieren, was in der lebendigen Kultur erhalten geblieben war, also keine grossere Gotter. Somit hatten die solidesten professionale Gelehrten die Idee angenommen, daB die alte Slaven nur eine Demonologie (niedere Mythologie) hatten.
Die vierte Auffassung war von Strukturalisten (und schon dadurch Frondierer) Wjatscheslaw Iwanow und Wladimir Toporow gebildet. Sie haben gerade die Namen der slawishen Gotter zugrunde gelegen, sie mit indoeuropaischen Namen, Bezeichnungen und Mythen gegeniibergestellt, und eine entwickelte Mythologie, die von der gemein-indoeuropaischen hergeleitet sein muBte, rekonstruiren begannen (der Grundmythus, der ureigene Streit zwischen Perun und Wolos-Weles). Die Methodik wurde haupsachlich von Levy-Strauss entlehnt, und sie erlaubte solch eine Freiheit des Ineinklang- bringen, daB die Ergebnisse sehr reich geworden wurden, doch verliessen die Beweisfahigkeit. Es gibt keine direkte Beweise des Streits Peruns mit Wolos, und Wolos (zum Unterschied von Weles) ist iiberhaupt ein neuer Gott, eine Umgestaltung des christlichen Heil. Blasius, bulg. Vlas).
Was betrifft Rybakowsche Auffassung, verteilte ich ihr eine ausfiihrliche Kritik, denn seine Werke waren, und tur ein nichtwissenschaftliches Publikum bis jetzt bleiben, die einfluBreichsten. Seine Quellen (denen ganze Kategorien er professional nicht besaB) sind betrachtet, sowie seine Methodik (unglaublich veraltet) und seine Ausfuhrungen (nach heutigen Kriterien haltlose, oft einfach anekdotehafte). Trotz allerdem, das Talent des Akademiemitglieds nach Gebiihr wtirdigt ist, wie auch seine Leistungsfahigkeit und Enthusiasm.
Es ist von Bedeutung, daB seine Werke Ausgangsbasis tur neo-Heiden geworden sind, die seit 70-n immer mehr unter neuen religiosen Bewegungen auffallen sind. Hervorgerufen durch Nationalismus in Bedingungen der Krise der orthdoxen Religion, diese Bewegung hat eigentlich reale Daten iiber alte heidnische Kulte und Brauche ignoriert und neue Kulte und Brauche schaffen begann, zum Teil aus indischen und germanischen Kultpraktik entlehnt und auf Propaganda einer harten urtumlichen Ideologie gerichtet: Hasse zu Fremdstammigen, Raufsucht, Isolationismus und nationalistische Solidaritat. Ekologische Losungen der Gegenwart (Respekt zu Natur) gewinnen bei ihnen eine Form der Absage von Prinzipien und Normen der Zivilisation.
Eine Analyse der echten ost-slawischen Kulten und Mythologie erweist sich als gegenwartig auch daffir, die neo-Heiden im Lichte der Realitat zu sehen.