„Ja“, erwiderte Gabrielle ohne großen Enthusiasmus. Sie hatte einen ganzen Stapel Visitenkarten in ihrer Brieftasche – das bedeutete wenigstens ein Jahr ständige Arbeit, falls sie das wollte. Warum war sie also jetzt in Versuchung, das Fenster des Taxis zu öffnen und sie in alle Winde zu zerstreuen?
Sie ließ ihren Blick über die draußen vorbeiziehende Nacht schweifen und sah seltsam distanziert zu, wie Lichter und Leben vorbeiflackerten. Die Straßen wimmelten von Menschen: Paare, die Hand in Hand umherschlenderten, Grüppchen von Freunden, die lachten und redeten – alle hatten sie viel Spaß. Sie aßen an Cafetischen vor In-Bistros oder betrachteten die Auslagen in den Schaufenstern der Geschäfte. Überall, wo sie hinsah, pulsierte die Stadt vor Farben und Leben. Gabrielle nahm all das mit dem Blick der Künstlerin in sich auf und fühlte dennoch gar nichts. Dieser rege Betrieb – auch in ihrem eigenen Leben – schien in einem rasenden Tempo ohne sie abzulaufen. In letzter Zeit hatte sie mehr und mehr den Eindruck, als wäre sie in einem Rad gefangen, das nicht aufhören wollte, sich um sie zu drehen und sie in einen endlosen Kreislauf von vergehender Zeit und Sinnlosigkeit einzuschließen.
„Stimmt irgendwas nicht, Gab?“, fragte Megan, die neben ihr auf dem Rücksitz des Taxis saß. „Du bist so still.“
Gabrielle zuckte mit den Achseln. „Es tut mir leid. Ich bin nur … ich weiß nicht. Müde, nehme ich an.“
„Jemand sollte dieser Frau einen Drink besorgen, und zwar sofort!“, scherzte Kendra, die dunkelhaarige Krankenschwester.
„Nee“, konterte Jamie, verschmitzt und katzenhaft. „Was unsere Gab wirklich braucht, ist ein Mann. Du bist zu ernst, meine Süße. Es ist nicht gesund, wenn du dich von deiner Arbeit dermaßen in Anspruch nehmen lässt. Du solltest ein bisschen Spaß haben! Wann bist du eigentlich das letzte Mal flach gelegt worden?“
Das war schon zu lange her, aber Gabrielle zählte eigentlich nicht mit. Sie hatte nie an fehlenden Verabredungen gelitten, wenn sie welche haben wollte, und Sex – wenn sie einmal welchen hatte – gehörte nicht zu den Dingen, von denen sie besessen war, so wie einige ihrer Freundinnen. Sie war auf diesem Gebiet momentan total aus der Übung – und außerdem überzeugt, dass ein bloßer Orgasmus sie nicht von ihrer inneren Leere und Rastlosigkeit befreien konnte.
„Jamie hat recht, weißt du“, meinte Kendra nun. „Du musst entspannter werden, geh mal ein bisschen aus dir raus.“
„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“, fügte Jamie hinzu.
„Oh nein!“, erwiderte Gabrielle und schüttelte den Kopf. „Ich wollte wirklich nicht so lange machen, Leute. Ausstellungen machen mich immer total fertig, und ich …“
„Fahrer?“ Jamie ignorierte sie, glitt an den Rand des Sitzes und klopfte gegen das Plexiglas, das den Taxifahrer von seinen Fahrgästen trennte. „Planänderung. Wir haben entschieden, dass wir in Feierlaune sind, also streichen Sie das Restaurant. Wir wollen dahin, wo all die angesagten Leute sind.“
„Wenn Sie Tanzclubs mögen, da hat gerade am Nordende der Stadt ein neuer aufgemacht“, meinte der Fahrer kaugummikauend. „Ich hab die ganze Woche schon Fahrgäste dahin gefahren. Sogar heute Abend schon zwei. Das ist ein Nobel-Nachtschuppen namens
„Ooh, La Notte“, schnurrte Jamie, warf einen spielerischen Blick über die Schulter und zog eine Augenbraue geziert hoch. „Klingt für mich absolut fantastisch, Mädels. Lasst uns hinfahren!“
Das
„Heilige Scheiße!“, schrie Kendra, um die Musik zu übertönen, hob die Arme und tanzte sich durch die dichte Menschenmenge. „Was für eine Location, was? Ist ja irre hier!“
Sie waren nicht einmal an dem ersten Knäuel von Clubgästen vorbei, als sich bereits ein großer, schlanker Kerl auf die attraktive Brünette stürzte, sich zu ihr herunterbeugte und ihr etwas ins Ohr sagte. Kendra lachte kehlig auf und nickte ihm strahlend zu.
„Der Typ will tanzen“, kicherte sie und gab Gabrielle ihre Handtasche. „Wie könnte ich ihn abweisen?“