Da sie nicht immerfort hinken kann, erfindet sie etwas anderes, sie sch"utzt M"udigkeit vor, Missstimmung, Schw"ache. Wir haben nun ausser dem Konzert auch ein Schauspiel. Wir sehen hinter Josefine ihren Anhang, wie er sie bittet und beschw"ort zu singen. Sie wollte gern, aber sie kann nicht. Man tr"ostet sie, umschmeichelt sie, tr"agt sie fast auf den schon vorher ausgesuchten Platz, wo sie singen soll. Endlich gibt sie mit undeutbaren Tr"anen nach, aber wie sie mit offenbar letztem Willen zu singen anfangen will, matt, die Arme nicht wie sonst ausgebreitet, sondern am K"orper leblos herunterh"angend, wobei man den Eindruck erh"alt, dass sie vielleicht ein wenig zu kurz sind – wie sie so anstimmen will, nun, da geht es doch wieder nicht, ein unwilliger Ruck des Kopfes zeigt es an und sie sinkt vor unseren Augen zusammen. Dann allerdings rafft sie sich doch wieder auf und singt, ich glaube, nicht viel anders als sonst, vielleicht wenn man f"ur feinste Nuancen das Ohr hat, h"ort man ein wenig aussergew"ohnliche Erregung heraus, die der Sache aber nur zugute kommt. Und am Ende ist sie sogar weniger m"ude als vorher, mit festem Gang, soweit man ihr huschendes Trippeln so nennen kann, entfernt sie sich, jede Hilfe des Anhangs ablehnend und mit kalten Blicken die ihr ehrfurchtsvoll ausweichende Menge pr"ufend.
So war es letzthin, das Neueste aber ist, dass sie zu einer Zeit, wo ihr Gesang erwartet wurde, verschwunden war. Nicht nur der Anhang sucht sie, viele stellen sich in den Dienst des Suchens, es ist vergeblich; Josefine ist verschwunden, sie will nicht singen, sie will nicht einmal darum gebeten werden, sie hat uns diesmal v"ollig verlassen.
Sonderbar, wie falsch sie rechnet, die Kluge, so falsch, dass man glauben sollte, sie rechne gar nicht, sondern werde nur weiter getrieben von ihrem Schicksal, das in unserer Welt nur ein sehr trauriges werden kann. Selbst entzieht sie sich dem Gesang, selbst zerst"ort sie die Macht, die sie "uber die Gem"uter erworben hat. Wie konnte sie nur diese Macht erwerben, da sie diese Gem"uter so wenig kennt. Sie versteckt sich und singt nicht, aber das Volk, ruhig, ohne sichtbare Entt"auschung, herrisch, eine in sich ruhende Masse, die f"ormlich, auch wenn der Anschein dagegen spricht, Geschenke nur geben, niemals empfangen kann, auch von Josefine nicht, dieses Volk zieht weiter seines Weges.
Mit Josefine aber muss es abw"arts gehn. Bald wird die Zeit kommen, wo ihr letzter Pfiff ert"ont und verstummt. Sie ist eine kleine Episode in der ewigen Geschichte unseres Volkes und das Volk wird den Verlust "uberwinden. Leicht wird es uns ja nicht werden; wie werden die Versammlungen in v"olliger Stummheit m"oglich sein? Freilich, waren sie nicht auch mit Josefine stumm? War ihr wirkliches Pfeifen nennenswert lauter und lebendiger, als die Erinnerung daran sein wird? War es denn noch bei ihren Lebzeiten mehr als eine blosse Erinnerung? Hat nicht vielmehr das Volk in seiner Weisheit Josefinens Gesang, eben deshalb, weil er in dieser Art unverlierbar war, so hoch gestellt?
Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren, Josefine aber, erl"ost von der irdischen Plage, die aber ihrer Meinung nach Auserw"ahlten bereitet ist, wird fr"ohlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Helden unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte treiben, in gesteigerter Erl"osung vergessen sein wie alle ihre Br"uder.