Schon seit langer Zeit, vielleicht schon seit Beginn ihrer K"unstlerlaufbahn, k"ampft Josefine darum, dass sie mit R"ucksicht auf ihren Gesang von jeder Arbeit befreit werde; man solle ihr also die Sorge um das t"agliche Brot und alles, was sonst mit unserem Existenzkampf verbunden ist, abnehmen und es – wahrscheinlich – auf das Volk als Ganzes "uberw"alzen. Ein schnell Begeisterter – es fanden sich auch solche – k"onnte schon allein aus der Sonderbarkeit dieser Forderung, aus der Geistesverfassung, die eine solche Forderung auszudenken imstande ist, auf deren innere Berechtigung schliessen. Unser Volk zieht aber andere Schl"usse, und lehnt ruhig die Forderung ab. Es m"uht sich auch mit der Widerlegung der Gesuchsbegr"undung nicht sehr ab. Josefine weist z. B., daraufhin, dass die Anstrengung bei der Arbeit ihrer Stimme schade, dass zwar die Anstrengung bei der Arbeit gering sei im Vergleich zu jener beim Gesang, dass sie ihr aber doch die M"oglichkeit nehme, nach dem Gesang sich gen"ugend auszuruhen und f"ur neuen Gesang sich zu st"arken, sie m"usse sich dabei g"anzlich ersch"opfen und k"onne trotzdem unter diesen Umst"anden ihre H"ochstleistung niemals erreichen. Das Volk h"ort sie an und geht dar"uber hinweg. Dieses so leicht zu r"uhrende Volk ist manchmal gar nicht zu r"uhren. Die Abweisung ist manchmal so hart, dass selbst Josefine stutzt, sie scheint sich zu f"ugen, arbeitet wie sichs geh"ort, singt so gut sie kann, aber das alles nur eine Weile, dann nimmt sie den Kampf mit neuen Kr"aften – daf"ur scheint sie unbeschr"ankt viele zu haben – wieder auf.
Nun ist es ja klar, dass Josefine nicht eigentlich das anstrebt, was sie w"ortlich verlangt. Sie ist vern"unftig, sie scheut die Arbeit nicht, wie ja Arbeitsscheu "uberhaupt bei uns unbekannt ist, sie w"urde auch nach Bewilligung ihrer Forderung gewiss nicht anders leben als fr"uher, die Arbeit w"urde ihrem Gesang gar nicht im Wege stehn, und der Gesang allerdings w"urde auch nicht sch"oner werden – was sie anstrebt, ist also nur die "offentliche, eindeutige, die Zeiten "uberdauernde, "uber alles bisher Bekannte sich weit erhebende Anerkennung ihrer Kunst. W"ahrend ihr aber fast alles andere erreichbar scheint, versagt sich ihr dieses hartn"ackig. Vielleicht h"atte sie den Angriff gleich anfangs in andere Richtung lenken sollen, vielleicht sieht sie jetzt selbst den Fehler ein, aber nun kann sie nicht mehr zur"uck, ein Zur"uckgehen hiesse sich selbst untreu werden, nun muss sie schon mit dieser Forderung stehen oder fallen.
H"atte sie wirklich Feinde, wie sie sagt, sie k"onnten diesem Kampfe, ohne selbst den Finger r"uhren zu m"ussen, belustigt zusehen. Aber sie hat keine Feinde, und selbst wenn mancher hie und da Einw"ande gegen sie hat, dieser Kampf belustigt niemanden. Schon deshalb nicht, weil sich hier das Volk in seiner kalten richterlichen Haltung zeigt, wie man es sonst bei uns nur sehr selten sieht. Und wenn einer auch diese Haltung in diesem Falle billigen mag, so schliesst doch die blosse Vorstellung, dass sich einmal das Volk "ahnlich gegen ihn selbst verhalten k"onnte, jede Freude aus., Es handelt sich eben auch bei der Abweisung, "ahnlich wie bei der Forderung, nicht um die Sache selbst, sondern darum, dass sich das Volk gegen einen Volksgenossen derart undurchdringlich abschliessen kann und um so undurchdringlicher, als es sonst f"ur eben diesen Genossen v"aterlich und mehr als v"aterlich, dem"utig sorgt.
St"unde hier an Stelle des Volkes ein Einzelner: man k"onnte glauben, dieser Mann habe die ganze Zeit "uber Josefine nachgegeben unter dem fortw"ahrenden brennenden Verlangen endlich der Nachgiebigkeit ein Ende zu machen; er habe "ubermenschlich viel nachgegeben im festen Glauben, dass das Nachgeben trotzdem seine richtige Grenze finden werde; ja, er habe mehr nachgegeben als n"otig war, nur um die Sache zu beschleunigen, nur, um Josefine zu verw"ohnen und zu immer neuen W"unschen zu treiben, bis sie dann wirklich diese letzte Forderung erhob; da habe er nun freilich, kurz, weil l"angst vorbereitet, die endg"ultige Abweisung vorgenommen. Nun, so verh"alt es sich ganz gewiss nicht, das Volk braucht solche Listen nicht, ausserdem ist seine Verehrung f"ur Josefine aufrichtig und erprobt und Josefinens Forderung ist allerdings so stark, dass jedes unbefangene Kind ihr den Ausgang h"atte voraussagen k"onnen; trotzdem mag es sein, dass in der Auffassung, die Josefine von der Sache hat, auch solche Vermutungen mitspielen und dem Schmerz der Abgewiesenen eine Bitternis hinzuf"ugen.
Aber mag sie auch solche Vermutungen haben, vom Kampf abschrecken l"asst sie sich dadurch nicht. In letzter Zeit versch"arft sich sogar der Kampf; hat sie ihn bisher nur durch Worte gef"uhrt, f"angt sie jetzt an, andere Mittel anzuwenden, die ihrer Meinung nach wirksamer, unserer Meinung nach f"ur sie selbst gef"ahrlicher sind.