Das Krachen der zuschlagenden Motorhaube brachte sie sofort zurück in die graue Wirklichkeit der Autowerkstatt. Im Hintergrund waren die lauten, hektischen Töne der Baseball-Übertragung zu hören, das Spiel steuerte auf einen Höhepunkt zu. Kath, die immer noch im Wagen saß, fuhr zusammen und wachte auf. Mit halb geschlossenen Lidern blickte sie sich in der trübe beleuchteten Nische um, igelte sich aber gleich darauf wieder ein, um weiterzuschlafen.
»Klemme war locker, genau wie ich dachte«, bemerkte der Mechaniker, wahrend er zurück ins Büro eilte. Sofort schoss sein Blick wieder zum Fernsehschirm hinüber. Die Stimme des Sportreporters überschlug sich fast vor Begeisterung über den Spielverlauf. »Allerdings müsste noch Frostschutzmittel nachgefüllt werden.«
»Tun Sie alles, was nötig ist«, erwiderte Krista. »Wenn ich nur fahren kann.«
Fünf Minuten später waren sie wieder auf der Straße. Die Temperaturanzeige am Armaturenbrett blieb dunkel und gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Gemäß den Instruktionen des Automechanikers schlug Krista die südliche Richtung ein, anstatt den Rückweg nach Norden anzutreten, um von dort aus nach Osten, auf die Interstate 95, abzubiegen. Er hatte gesagt, sie werde etwa fünf Kilometer von der Tankstelle entfernt einen Zubringer zur Interstate finden - und jetzt tauchte auch schon das Schild auf.
Die linke Abfahrt führte zu einer wenig befahrenen Landstraße, die sie an jene erinnerte, die sie am Vortag in New Hampshire entlanggefahren waren. Plötzlich war die Landschaft in eine fast unheimliche Dunkelheit gehüllt. Die Scheinwerfer des Fernlichts reflektierten die Schwärze so, als sei sie eine feste Masse. Hier und da drang schwacher, gelblicher Lichtschein durch die pechschwarze Nacht: Es waren die erleuchteten Fenster von Bauernhäusern, die ein gutes Stück von der Straße entfernt standen. Sie begegneten keinem anderen Fahrzeug. »Sind wir schon da?«
In ihre eigenen Gedanken vertieft, fuhr Krista zusammen, als Kath sich plötzlich meldete. »Bald, Liebes, ist nicht mehr weit. Warum schläfst du nicht noch ein bisschen?«
»Bin nicht mehr müde.«
Krista wurde bewusst, dass sich Kath die ganze Zeit über, die ganze verflixte Odyssee hindurch, wie ein wahrer Schatz verhalten hatte. Schließlich hätte sie ja auch Theater machen, herumjammern und damit die Sache noch viel schlimmer machen können, als sie ohnehin schon war. Aber nein. Da zeigte sich wieder mal, wie reif Kath für ihr Alter war. Dabei hätte ein kleiner Wutanfall vielleicht sogar gut getan, vor allem, wenn sie beide gleichzeitig getobt hätten.
Nahe an der gespenstisch wirkenden weißen Mittellinie lag ein totes Murmeltier. Ein großer schwarzer Vogel - eine Krähe oder ein Rabe — zog ein letztes Mal hastig an einem Strang von Gedärmen, ehe er sich in die Lüfte schwang und verschwand. Krista hatte angenommen, dass alle Vögel nachts schlafen. Der Kadaver des Murmeltiers leuchtete im Scheinwerferlicht kurz auf und tauchte gleich darauf hinter dem Wagen ins Dunkel.
»Armes altes Murmeltier«, sagte Kath in einer recht gelungenen Imitation von Mr. Rogers und verrenkte den Hals, um es in der Nacht verschwinden zu sehen. (Anm. d. U.: Mr. Rogers bezieht sich auf die Kindersendung »Mr. Roger's Neighbourhood« im amerikanischen Fernsehen, eine Serie im Kinderprogramm von PBS. Ihr Protagonist ist Fred Rogers, der kleine Geschichten erzählt und Lieder singt.)
Nach einem Blick auf die Uhr am Armaturenbrett klemmte Krista den Fuß noch fester aufs Gaspedal. Vor ihnen bog die Straße scharf nach links.
Einen Moment lang steuerten sie auf den dunklen Abgrund des Straßengrabens zu, aber gleich darauf brachte Krista den Wagen wieder auf Spur.
»Kath!«, sagte Krista lachend. »Das gehört sich nicht.« Es war ein Lied, das sie selbst als Mädchen gesungen hatte. Kaths schräger Gesang weckte bei ihr Erinnerungen an Lagerfeuer und nächtliche Gespenstergeschichten.
»Ich weiß«, kicherte Kath. »Komm schon, Mom, sing mit
Krista stimmte in den Refrain ein: »...
Der Wagen schoss über eines jener Schlaglöcher hinweg, die einem den Magen umdrehen können. »Huiiii!«, schrie Krista und beschleunigte im Rhythmus des Refrains. Die Straße, die mittlerweile aufwärts führte, fiel nach links steil ab.
Hinter dem Buckel führte die Straße in einer Zickzack-Kurve scharf nach rechts, schärfer, als Krista erwartet hatte. Sie fuhr viel zu schnell, um das Tempo noch angemesssen zu drosseln.