Caroline. Wie leise, wie vom Kummer niedergedrückt ihre Stimme klang. Scott wollte ihr den Kopf zuwenden, aber er gehorchte ihm nicht.
Scott ließ Kaths Hand los und drehte sich zu der unbekannten Stimme um. Es war der junge Arzt, der über dem Krankenblatt gebrütet hatte, als Scott auf die Station gekommen war. Er bedachte den Mann mit einem kaum merklichen Nicken, um sich gleich darauf wieder Kath zuzuwenden.
»Ich bin Dr. Cunningham«, sagte der Mann mit starkem irischen Akzent. »Ich habe Ihre kleine Tochter hier aufgenommen.«
Innnerlich murmelte Scott ein »Danke«, aber er brachte kein Wort heraus.
Cunningham ließ sich davon nicht beirren. »Abgesehen von einer bösen Schnittwunde an ihrem Arm, die wir in der Notaufnahme genäht haben, hat sie keine weiteren Verletzungen, soweit wir diagnostizieren konnten. Sofort nach ihrer Ankunft haben wir eine Computertomographie durchgeführt, aber nichts von Bedeutung finden können. Sie hat sich weder einen Schädelbasisbruch noch Hirnquetschungen zugezogen. Vielleicht hat sie eine Gehirnerschütterung, aber ich bin mir da nicht sicher. Wegen der Schnittwunde am Arm hat sie recht viel Blut verloren, allerdings nicht so viel, dass sie eine Transfusion gebraucht hat.« Er deutete auf den Monitor über dem Bett. Ein Kardiogramm, das Rhythmus und Intensität von Kaths Herzschlägen aufzeichnete, lief stumm als grüne Linie mit Kurven und Zacken über den Bildschirm. »Ihr Herzschlag ist stabil.«
Scotts Hand tastete nach der empfindlichen Schwellung an seinem Hinterkopf, die inzwischen so groß wie ein Gänseei war. Bewusst drückte er so heftig auf die Beule, dass ihn ein scharfer Schmerz durchfuhr. Das zumindest war real.
»Eindeutig so ein Fall, bei dem der Sicherheitsgurt lebensrettend war«, erklärte der Arzt. »Allerdings hat ihr letztendlich wohl der Bursche, der sie gefunden hat, das Leben gerettet. Er hat ihr die Wunde am Arm verbunden. Andernfalls hätte sie wohl so viel Blut verloren, fürchte ich, dass es kritisch geworden wäre.«
»Was ist denn eigentlich mit ihr los?«, fragte Scott, dessen Gesicht höchste Verwirrung ausdruckte, in seiner Hilflosigkeit. »Warum ist sie ... so?«
»Ich halte es für eine Art von Katatonie als Reaktion auf die Ereignisse. Das würde auch die abgeschwächten, ansonsten aber normalen neurologischen Werte und den gegenwärtigen Zustand innerer Abwesenheit erklären.« Mit offener Handfläche deutete er auf Caroline. »Caroline hat mir erzählt, dass Sie Psychiater sind. Halten Sie Katatonie für eine annehmbare Diagnose?«
Für einen winzigen Moment wurde Scott wieder zum Psychiater (gleich darauf wäre er kaum fähig gewesen, den Begriff zu definieren, schon gar nicht, eine Diagnose vorzunehmen), und in dieser Rolle musste er dem Assistenzarzt mit den wachen Augen Recht geben. Es war genau die Art von Erklärung, die er im Fall eines fremden Kindes angeboten hätte. Als Experte wusste er, dass traumatische Situationen recht oft Zustände zeitweiliger Lösung aus der Realität erzeugten, deren Grad variieren konnte. Sie reichten vom bewussten Abschalten bis zur völlig unfreiwilligen und weit reichenden Abkapselung von der Umwelt.
Aber sofort regten sich erneut Zweifel in ihm, die ihn mit Angst erfüllten und das Schlimmste befürchten ließen, so dass es ihn wieder in den Fingern juckte, Kaths Augen zu schließen. Warum mussten ihre Augen auf diese Weise offen stehen? Warum waren sie nur halb geöffnet und blinzelten? Warum wirkten die Augäpfel wie Glasmurmeln und erinnerten eher an die Requisiten eines Tierpräparators als an etwas Lebendiges? Warum schlossen sie sich nicht einfach? Dann hätte er sich vormachen können, Kath schlafe nur.
»Wir behalten sie zur Beobachtung da«, erklärte Cunningham. »Zumindest über Nacht. So können wir eher ausschließen, dass sie irgendwelche nicht erkannten inneren Verletzungen hat«
Als habe er Scotts Gedanken gelesen, wandte sich der Assistenzarzt zur offenen Tür. »Ich bin gleich nebenan, Doktor ... wenn Sie später wieder zurück zur Notaufnahme möchten.« Mit wehendem Kittel verließ er den Raum.