Breuer trat ihm auf die Hände. Lübbe konnte sie nicht unter den Stiefeln fortziehen. Er reckte seinen Hals, so weit er konnte, zur Gießkanne hin; seine Lippen bebten, sein Kopf zitterte, und er krächzte mit großer Anstrengung.
Breuer betrachtete ihn mit den Augen des Fachmannes. Er sah, daß Lübbe fast fertig war. »Na, sauf schon«, knurrte er. »Sauf deine Henkersmahlzeit.«
Er grinste über seinen Witz und stieg von den Händen herunter. Lübbe warf sich über die Kanne mit solcher Hast, daß sie schwankte. Er glaubte nicht an sein Glück. »Sauf langsam«, sagte Breuer.
»Wir haben Zeit.«
Lübbe trank und trank. Er hatte Stufe sechs des Breuerschen Erziehung«-Programms hinter sich: Ernährung mit nichts anderem als Salzheringen und Salzwasser für einige Tage; dazu volle Hitze, angekettet an die Heizungsröhren.
»Schluß«, erklärte Breuer schließlich und riß die Kanne weg. »Steh auf. Komm mit.«
Lübbe stolperte hoch. Er lehnte an der Wand und erbrach Wasser. »Siehst du«, sagte Breuer.
»Ich habe dir gesagt, trink langsam. Marsch!«
Er stieß Lübbe vor sich her, den Korridor entlang, in sein Zimmer. Lübbe fiel hinein.
»Steh auf«, sagte Breuer. »Setz dich auf den Stuhl. Los.«
Lübbe kroch auf den Stuhl. Er schwankte und lehnte sich zurück und wartete auf die nächste Tortur. Er kannte nichts anderes mehr.
Breuer sah ihn nachdenklich an. »Du bist mein ältester Gast, Lübbe. Sechs Monate, wie?«
Das Gespenst vor ihm schwankte. »Wie?« wiederholte Breuer. Das Gespenst nickte.
»Eine schöne Zeit«, erklärte Breuer. »Lange. So was verbindet direkt. Du bist mir irgendwie ans Herz gewachsen. Das ist komisch, aber es ist tatsächlich so ähnlich. Ich habe ja persönlich nichts gegen dich, das weißt du -« »Das weißt du«, wiederholte er nach einer Pause. »Oder nicht?« Das Gespenst nickte wieder. Es wartete auf die nächste Folter.
»Es geht einfach gegen euch alle. Der einzelne ist piepegal.« Breuer nickte gewichtig und schenkte sich Kognak ein. »Piepegal. Schade, ich dachte, du hättest durchgestanden. Wir hatten nur noch Aufhängen an den Füßen und eine Kürübung, dann wärest du durch gewesen und 'rausgekommen, das weißt du?«
Das Gespenst nickte. Es wußte es nicht genau; aber es stimmte, daß Breuer manchmal Gefangene entließ, für die nicht ausdrücklich Todesbefehl vorlag, nachdem sie alle Foltern durchgestanden hatten. Er hatte da eine Art von Bürokratie; wer durchkam, hatte eine Chance. Es hing mit einer widerwilligen Bewunderung dafür zusammen, daß der Gegner so viel aushielt. Es gab Nazis, die so dachten, und die sich deshalb für sportlich und für Gentlemen hielten.
»Schade«, sagte Breuer. »Ich hätte dich eigentlich ganz gern laufenlassen. Du hast Courage gehabt.
Schade, daß ich dich trotzdem erledigen muß. Weißt du, warum?«
Lübbe antwortete nicht. Breuer zündete sich eine Zigarette an und öffnete das Fenster.
»Darum.« Er horchte einen Augenblick. »Hörst du es?« Er sah, daß Lübbes Augen ihm verständnislos folgten. »Artillerie«, sagte er. »Feindliche Artillerie. Sie kommen näher. Deshalb!
Deshalb wirst du heute nacht umgelegt.«
Er schloß das Fenster. »Pech, was?« Er grinste ein schiefes Lächeln. »Gerade ein paar Tage, bevor sie euch hier «herausholen können. Richtiges Pech, was?«
Er freute sich über seinen Einfall. Es gab dem Abend Finesse; ein Stück seelischer Folter als Abschluß. »Wirklich, verdammtes Pech, was?«
»Nein«, flüsterte Lübbe.
»Was?«
»Nein.«
»Bist du so lebensmüde?«
Lübbe schüttelte den Kopf. Breuer sah ihn überrascht an. Er spürte, daß nicht ganz dasselbe Wrack mehr vor ihm saß wie vor einer Minute. Lübbe sah plötzlich aus, als habe er einen Tag Ruhe gehabt. »Weil sie euch jetzt holen werden«, flüsterte er mit zerrissenen Lippen. »Alle.«
»Quatsch! Quatsch!« Breuer war einen Moment wütend. Er merkte, daß er einen Fehler gemacht hatte. Anstatt Lübbe zu quälen, hatte er ihm einen Dienst erwiesen.
Wer konnte auch ahnen, daß der Kerl so wenig an seinem Leben hing?»Bilde dir nur nichts ein!
Ich habe dir was vorgeschwindelt. Wir verlieren nicht! Wir räumen hier nur! Die Front wird verlegt, das ist alles!«
Es wirkte nicht überzeugend. Breuer wußte es selbst. Er nahm einen Schluck. Ist auch gleich, dachte er und trank noch einmal. »Denk, was du willst«, sagte er dann. »Ist trotzdem dein Pech.
Zwingt mich, dich umzulegen.«
Er spürte den Alkohol. »Schade für dich, und schade für mich. War ein| schönes Leben. Na ja, für dich nicht, wenn man gerecht sein will.«
Lübbe beobachtete ihn trotz seiner Schwäche. »Was mir an dir gefällt« sagte Breuer,»ist, daß du nicht klein beigegeben hast. Aber ich muß dich umlegen, damit du nichts erzählst. Gerade dich, den ältesten Gast. Dich zuerst. Die anderen kommen auch ran«, fügte er begütigend hinzu. »Keine Zeugen hinterlassen. Alte nationalsozialistische Parole.«
Er holte einen Hammer aus der Tischschublade. »Ich will es kurz machen mit dir.« Er legte den Hammer neben sich. Im selben Moment torkelte Lübbe vom Stuhl hoch und versuchte, mit den verbrannten Händen nach dem Hammer zu greifen. Breuer stieß ihn mit der Faust leicht beiseite.