»Aha«, meinte von Schwendi trocken und schwieg, worauf Lutz sich seiner Unterlegenheit immer mehr bewußt wurde und ahnte, daß er nun Schritt für Schritt in allem werde nachgeben müssen, was der Oberst von ihm zu erreichen suchte. Er blickte hilflos nach den Bildern Traffelets, auf die marschierenden Soldaten, die flatternden Schweizer Fahnen, den zu Pferd sitzenden General. Der Nationalrat bemerkte die Verlegenheit des Untersuchungsrichters mit einem gewissen Triumph und fügte schließlich seinem Aha bei, es gleichzeitig verdeutlichend:
»Die Polizei erfährt also eine große Neuigkeit; die Polizei weiß also wieder gar nichts.«
Wie unangenehm es auch war und wie sehr das rücksichtslose Vorgehen von Schwendis seine Lage unerträglich machte, so mußte doch der Untersuchungsrichter zugeben, daß Schmied weder dienstlich bei Gastmann gewesen sei, noch habe die Polizei von dessen Besuchen in Lamboing eine Ahnung gehabt. Schmied habe dies rein persönlich unternommen, schloß Lutz seine peinliche Erklärung. Warum er allerdings einen falschen Namen angenommen habe, sei ihm gegenwärtig ein Rätsel.
Von Schwendi beugte sich vor und sah Lutz mit seinen rotunterlaufenen, verschwommenen Augen an. »Das erklärt alles«, sagte er, »Schmied spionierte für eine fremde Macht.«
»Wie meinst du das?« fragte Lutz hilfloser denn je.
»Ich meine«, sagte der Nationalrat, »daß die Polizei vor allem jetzt einmal untersuchen muß, aus was für Gründen Schmied bei Gastmann war.«
»Die Polizei sollte vor allen Dingen zuerst etwas über Gastmann wissen, lieber Oskar«, widersprach Lutz.
»Gastmann ist für die Polizei ganz ungefährlich«, antwortete von Schwendi, »und ich möchte auch nicht, daß du dich mit ihm abgibst oder sonst jemand von der Polizei. Es ist dies sein Wunsch, er ist mein Klient, und ich bin da, um zu sorgen, daß seine Wünsche erfüllt werden.« -
Diese unverfrorene Antwort schmetterte Lutz so nieder, daß er zuerst gar nichts zu erwidern vermochte. Er zündete sich eine Zigarette an, ohne in seiner Verwirrung von Schwendi eine anzubieten. Erst dann setzte er sich in seinem Stuhl zurecht und entgegnete:
»Die Tatsache, daß Schmied bei Gastmann war, zwingt leider die Polizei, sich mit deinem Klienten zu befassen, lieber Oskar.«
Von Schwendi ließ sich nicht beirren. »Sie zwingt die Polizei vor allem, sich mit mir zu befassen, denn ich bin Gastmanns Anwalt«, sagte er. »Du kannst froh sein, Lutz, daß du an mich geraten bist; ich will ja nicht nur Gastmann helfen, sondern auch dir. Natürlich ist der ganze Fall meinem Klienten unangenehm, aber dir ist er viel peinlicher, denn die Polizei hat bis jetzt noch nichts herausgebracht. Ich zweifle überhaupt daran, daß ihr jemals Licht in diese Angelegenheit bringen werdet.«
»Die Polizei«, antwortete Lutz, »hat beinahe jeden Mord aufgedeckt, das ist statistisch bewiesen. Ich gebe zu, daß wir im Falle Schmied in gewisse Schwierigkeiten geraten sind, aber wir haben doch auch schon – er stockte ein wenig – beachtliche Resultate zu verzeichnen. So sind wir von selbst auf Gastmann gekommen, und wir sind denn auch der Grund, warum dich Gastmann zu uns geschickt hat. Die Schwierigkeiten liegen bei Gastmann und nicht bei uns, an ihm ist es, sich über den Fall Schmied zu äußern, nicht an uns. Schmied war bei ihm, wenn auch unter falschem Namen; aber gerade diese Tatsache verpflichtet die Polizei, sich mit Gastmann abzugeben, denn das ungewohnte Verhalten des Ermordeten belastet doch wohl zunächst Gastmann. Wir müssen Gastmann einvernehmen und können nur unter der Bedingung davon absehen, daß du uns völlig einwandfrei erklären kannst, warum Schmied bei deinem Klienten unter falschem Namen zu Besuch war, und dies mehrere Male, wie wir festgestellt haben.«
»Gut«, sagte von Schwendi, »reden wir ehrlich miteinander. Du wirst sehen, daß nicht ich eine Erklärung über Gastmann abzugeben habe, sondern daß ihr uns erklären müßt, was Schmied in Lamboing zu suchen hatte. Ihr seid hier die Angeklagten, nicht wir, lieber Lutz.«
Mit diesen Worten zog er einen weißen Bogen hervor, ein großes Papier, das er auseinanderbreitete und auf das Pult des Untersuchungsrichters legte.
»Das sind die Namen der Personen, die bei meinem guten Gastmann verkehrt haben«, sagte er. »Die Liste ist vollständig. Ich habe drei Abteilungen gemacht. Die erste scheiden wir aus, die ist nicht interessant, das sind die Künstler. Natürlich kein Wort gegen Kraushaar-Raffaeli, der ist Ausländer; nein, ich meine die inländischen, die von Utzenstorf und Merligen. Entweder schreiben sie Dramen über die Schlacht am Morgarten und Nikiaus Manuel, oder sie malen nichts als Berge. Die zweite Abteilung sind die Industriellen. Du wirst die Namen sehen, es sind Männer von Klang, Männer, die ich als die besten Exemplare der schweizerischen Gesellschaft ansehe. Ich sage dies ganz offen, obwohl ich durch die Großmutter mütterlicherseits von bäuerlichem Blut abstamme.«