Der Neuankömmling war riesig, weit größer als die beiden anderen Haie. Sein Hammer klappte nach oben, als er die Zahnreihen vorstülpte und den Rachen weit aufriss. Er packte Frosts rechten Oberarm und begann daran zu rütteln.
»Scheiße«, zeterte Frost. »Was ist das denn für ein Vieh? Ausgeburt der Hölle! Lässt du mich wohl los, du …«
Der Hammerhai schüttelte wild seinen großen, eckigen Kopf, wobei er mit der Schwanzflosse gegensteuerte. Er musste zwischen sechs und sieben Meter messen. Frost wurde hin-und hergewirbelt wie ein Blatt. Sein gepanzerter Arm war bis zur Schulter im Maul des Hais verschwunden.
»Hau ab!«, schrie er.
»Um Gottes willen, Stan«, rief van Maarten. »Schlag ihm auf die Kiemen. Versuch, seine Augen zu erreichen.«
Natürlich, dachte Bohrmann. Oben sehen sie zu. Sie sehen alles!
Er hatte sich mitunter gefragt, wie es wäre, einem solchen Riesen zu begegnen, von ihm angegriffen zu werden oder mitzuerleben, wie jemand anderer angegriffen wurde. Die Vorstellung versagte an der Wirklichkeit. Weder war Bohrmann ausgesprochen mutig noch besonders ängstlich. Manche fanden, er sei ein Abenteurer. Sich selber hätte er als couragiert beschrieben, als jemanden, der Risiken nicht scheute, aber auch nicht herausforderte. Aber wie immer die Charakterisierung in der Vergangenheit ausgefallen war, nichts davon galt mehr in diesem Moment, angesichts des kolossalen Angreifers.
Bohrmann floh nicht, er schwamm darauf zu.
Einer der kleineren Haie näherte sich ihm von der Seite. Seine Augen zuckten, die Kiefer blähten sich krampfartig. Offenbar kostete es ihn große Überwindung, in das elektrische Feld zu schwimmen. Dennoch beschleunigte er und rempelte Bohrmann an.
Es war, als kollidiere man mit einem heranrasenden Auto.
Bohrmann wurde auf die Seite geschleudert. Er trieb auf die Lichtinsel zu. Sein einziger Gedanke war, dass er die Konsole nicht loslassen durfte, ganz gleich, was passierte. Der
Plötzlicher Wasserdruck erfasste ihn und drückte ihn in die Tiefe. Der Schwanz des großen Hais peitschte über ihn hinweg. Bohrmann versuchte, die Kontrolle über seine Bewegungen zurückzuerlangen, und sah die beiden kleineren Haie gemeinsam herankommen. Ihre Kiefer schnappten auf und zu. Sie waren der Lichtinsel nun so nahe, dass im ozeanischen Blau ihre natürliche Färbung zu sehen war. Über dem weißlichen Bauch spannte sich ein bronzefarbener Rücken. Zahnfleisch und Racheninneres leuchteten rosaorange wie frisch aufgeschnittenes Lachsfleisch, bestückt mit den charakteristischen dreieckigen Dolchen im Oberkiefer und spitzeren Fangzähnen unten. Fünf hintereinander liegende, stahlharte Reihen, bereit, alles zu zerkleinern, was zwischen sie geriet.
»Gäärrraaad!«, schrie Frost.
Bohrmann sah gegen das Licht der Halogenleuchten, wie Frost mit dem freien Greifer auf den Kopf des großen Hammerhais einschlug. Dann plötzlich riss der Hai mit einer einzigen Kopfbewegung den gepanzerten Arm des Exosuit aus der Schulterhalterung und schleuderte ihn von sich. Sauerstoff wirbelte in dicken Blasen aus der Öffnung hervor. Die Kiefer klappten auseinander, schlossen sich um Frosts ungeschützten Arm und bissen ihn unterhalb des Schultergelenks ab.
Eine Wolke von Blut breitete sich dunkel aus, vermischt mit Blasen. Unglaublich viel Blut, das von den peitschenden Bewegungen des Hais sofort verteilt wurde. Frost schrie keine Worte mehr, nur noch unartikuliert und schrill, dann wurde ein Gurgeln daraus, als das Meerwasser in seinen Anzug schoss und ihn ausfüllte. Das Schreien verstummte. Die kleineren Haie verloren augenblicklich das Interesse an Bohrmann. Was immer sie steuerte, kurzzeitig übernahm der natürliche Fressrausch das Kommando über ihr Verhalten. Sie stürzten sich in den schäumenden Wirbel, verbissen sich im leblosen Körper des Vulkanologen, wirbelten ihn herum und versuchten, die Panzerung zu durchbeißen.
Auch van Maartens schrie, überlagert von Störgeräuschen.
Bohrmanns Gedanken überschlugen sich. Er fühlte den lähmenden Schock. Zugleich arbeitete ein Teil seines Verstandes glasklar und sagte ihm, dass er nicht auf die Instinkte der Tiere vertrauen durfte. Ihre Kraft und Fresslust wurden manipuliert. Es ging nicht ums Fressen. Der Instinkt brach sich Bahn, aber dem Zeug, das in ihren Köpfen sitzen musste, war einzig daran gelegen, die Menschen hier unten zu töten.
Er musste zurück zur Felswand.