Georg nickt selbstgefällig.»Liebe ist eine Sache des Gefühls«, doziert er.»Keine der Moral. Gefühl aber kennt keinen Verrat. Es nimmt zu, schwindet oder wechselt – wo ist da Verrat? Es ist kein Kontrakt. Hast du Gerdas Ohren nicht mit deinem Schmerz um Erna vollgeheult?«
»Nur im Anfang. Sie war ja dabei, als der Krach in der Roten Mühle passierte.«
»Dann jammere jetzt nicht. Verzichte oder handle.«
Ein Tisch neben uns wird frei. Wir setzen uns. Der Kellner Freidank räumt ab.»Wo ist Herr Knobloch?«frage ich.
Freidank sieht sich um.»Ich weiß nicht – er war die ganze Zeit an dem Tisch mit der Dame drüben.«
»Einfach, was?«sage ich zu Georg.»Soweit wären wir. Ich bin ein natürliches Opfer der Inflation. Schon wieder. Erst Erna, jetzt Gerda. Bin ich ein geborener Hahnrei? Dir passiert so was nicht.«
»Kämpfe!«erwidert Georg.»Noch ist nichts verloren. Geh zu Gerda hinüber!«
»Womit soll ich kämpfen? Mit Grabsteinen? Eduard gibt ihr Rehrücken und widmet ihr Gedichte. Bei den Gedichten kennt sie den Unterschied in der Qualität nicht – beim Essen leider. Und ich Esel habe mir das selbst zuzuschreiben! Ich habe sie hierhergebracht und ihren Appetit geweckt. Buchstäblich!«
»Dann verzichte«, sagt Georg.»Wozu kämpfen? Um Gefühle kann man sowieso nicht kämpfen.«
»Nein? Weshalb rätst du mir dann vor einer Minute, ich solle es tun?«
»Weil heute Dienstag ist. Da kommt Eduard – in seinem Sonntagsgehrock und mit einer Rosenknospe im Knopfloch. Du bist erledigt.«
Eduard stutzt, als er uns sieht. Er schielt zu Gerda hinüber und begrüßt uns dann mit der Herablassung des Siegers.
»Herr Knobloch«, sagt Georg.»Ist Treue das Mark der Ehre, wie unser geliebter Feldmarschall es verkündet hat, oder nicht?«
»Es kommt darauf an«, erwidert Eduard vorsichtig.»Heute gibt es Königsberger Klops mit Tunke und Kartoffeln. Ein gutes Essen.«
»Darf der Soldat dem Kameraden in den Rücken fallen?«fragt Georg weiter.»Der Bruder dem Bruder? Der Poet dem Poeten?«
»Poeten greifen sich dauernd an. Sie leben davon.«
»Sie leben vom offenen Kampf; nicht vom Dolchstoß in den Magen«, erkläre ich.
Eduard schmunzelt breit.»Der Sieg dem Sieger, mein lieber Ludwig,
»Ja«, sage ich,»und wie!«
Eduard wird in diesem Augenblick beiseite geschoben.»Kinder, da seid ihr ja«, sagt Gerda herzlich.»Laßt uns zusammen essen! Ich habe gehofft, ihr würdet kommen!«
»Du sitzest in der Weinabteilung«, erwidere ich giftig.»Wir trinken Bier.«
»Ich trinke auch lieber Bier. Ich setze mich zu euch.«
»Erlaubst du, Eduard?«frage ich.
»Was hat Eduard da zu erlauben?«fragt Gerda.»Er freut sich doch, wenn ich mit seinen Freunden esse. Nicht wahr, Eduard?«
Die Schlange nennt ihn bereits beim Vornamen. Eduard stottert.»Natürlich, nichts dagegen, selbstverständlich, eine Freude -«
Er bietet ein schönes Bild, rot, wütend und verbissen lächelnd.»Eine hübsche Rosenknospe trägst du da«, sage ich.»Bist du auf Freiersfüßen? Oder ist das einfache Freude an der Natur?«
»Eduard hat ein sehr feines Gefühl für Schönheit«, erwidert Gerda.
»Das hat er«, bestätige ich.»Hattest du das gewöhnliche Mittagessen? Lieblose Königsberger Klopse in irgendeiner geschmacklosen deutschen Tunke?«
Gerda lacht.»Eduard, zeig, daß du ein Kavalier bist! Laß mich deine beiden Freunde zum Essen einladen! Sie behaupten dauernd, du wärest entsetzlich geizig. Laß uns ihnen das Gegenteil beweisen. Wir haben -«
»Königsberger Klops«, unterbricht Eduard sie.»Gut, laden wir sie zum Klops ein. Ich werde für einen extra guten sorgen.«
»Rehrücken«, sagt Gerda.
Eduard ähnelt einer defekten Dampfmaschine.»Das da sind keine Freunde«, erklärt er.
»Was?«
»Wir sind Blutsfreunde, wie Valentin«, sage ich.»Erinnerst du dich noch an unser letztes Gespräch im Dichterklub? Soll ich es laut wiederholen? In welcher Versform dichtest du jetzt?«
»Über was habt ihr gesprochen?«fragt Gerda.
»Über nichts«, erwidert Eduard rasch.»Die beiden hier sagen nie ein wahres Wort! Witzbolde, trostlose Witzbolde sind sie! Wissen nichts vom Ernst des Lebens.«
»Ich möchte wissen, wer außer Totengräbern und Sargtischlern mehr vom Ernst des Lebens weiß als wir«, sage ich.
»Ach ihr! Ihr wißt nur was von der Lächerlichkeit des Todes«, erklärt Gerda plötzlich aus heiterem Himmel.»Und deshalb versteht ihr nichts mehr vom Ernst des Lebens.«
Wir starren sie maßlos verblüfft an. Das ist bereits unverkennbar Eduards Stil! Ich fühle, daß ich auf verlorenem Boden kämpfe, gebe aber noch nicht auf.
»Von wem hast du das?«frage ich.»Du Sybille über den dunklen Teichen der Schwermut!«
Gerda lacht.»Für euch ist das Leben immer gleich beim Grabstein. So schnell geht das nicht für andere Menschen. Eduard zum Beispiel ist eine Nachtigall!«
Eduard blüht über seine fetten Backen.»Wie ist es also mit dem Rehrücken?«fragt Gerda ihn.
»Nun, schließlich, warum nicht?«
Eduard entschwindet. Ich sehe Gerda an.»Bravo!«sage ich.»Erstklassige Arbeit. Was sollen wir davon halten?«