»Wir könnten uns eingraben und warten, bis sie abgezogen sind«, schlug Skar vor. Bernec schüttelte den Kopf, schwang die Beine über den Rand der Höhle und stützte sich an der senkrechten Wand ab. Das Seil spannte sich, und für einen Moment hing er in bedrohlicher Schräglage frei in der Luft, ehe er wieder festen Halt gewann. »Wenn ich ums Leben komme«, sagte er, »übernimmst du das Kommando, Skar. Dann dein Freund und Coar. Sollten sie auch fallen, versuchen die anderen auf eigene Faust zurückzukommen. Und jagt die Pferde davon.«
Skar sah schweigend zu, wie Bernec langsam in der Tiefe verschwand. Er kletterte rasch und mit sicheren, geübten Bewegungen und war bereits nach wenigen Augenblicken aus ihrem Sichtbereich verschwunden. Nur das straff gespannte Seil und das leise Poltern und Schaben, das aus dem Schacht empordrang, bewiesen noch, daß er überhaupt existierte. Vielleicht, dachte Skar, war dieses Loch gar nicht der Eingang zu einer Höhle, sondern der Schlund eines gigantischen schwarzen Etwas, der Eingang zu einem Reich des Nichts, in dem sie einfach aufhören würden zu existieren, sobald sie es betreten hatten.
Das Seil spannte sich.
»Ich bin unten!« drang Bernecs Stimme seltsam hohl und verzerrt zu ihnen hinauf.
»Ihr könnt nachkommen! Hier ist alles ruhig.«
»Wenn er weiter so rumbrüllt«, murrte Del, »wird es die längste Zeit ruhig gewesen sein.«
Skar lächelte flüchtig, griff nach dem Seil und schwang sich, Bernecs Beispiel folgend, rückwärts über den Schachtrand.
Die Finsternis schien wie eine schwarze Woge über ihm zusammenzuschlagen, als er mit dem Abstieg begann. Die Wände des Schachtes bestanden nicht aus Fels, wie er erwartet hatte, sondern aus zusammengebackenem Sand und trockener, krumiger Erde, die unter seinen Füßen immer wieder nachgab und abbröckelte, so daß er eher am Seil hinunterrutschte, als daß er wirklich stieg. Ein unablässig rieselnder Strom von Sand und kleinen Steinen begleitete seinen Abstieg, und aus der Tiefe drangen helle, klackende Echos zu ihm hinauf. Die Höhle unter ihm mußte gewaltig sein.
Der helle Kreis über seinem Kopf schmolz zu einem winzigen, grellorangenen Fleck zusammen, und die Wände wichen weiter auseinander, so daß sich das Seil schließlich über dem Schachtrand spannte und er fast frei in der Luft hing.
»Spring«, sagte Bernec unter ihm. »Es sind nur noch zwei Meter. Der Boden ist weich.«
Skar ließ das Seil los. Er stürzte, prallte auf weichem, federndem Untergrund auf und rollte sich ab. Eine Hand tastete nach seinem Arm und wich wieder zurück, als er aufstand.
»Alles in Ordnung?« fragte Bernec.
Skar nickte, obwohl der andere die Geste in der absoluten Schwärze hier unten nicht sehen konnte. »Ja«, sagte er. Er hörte, wie Bernec sich neben ihm bewegte und nach dem Seil griff.
»Der nächste!« brüllte er.
Die unsichtbaren Wände um sie herum warfen den Klang seiner Stimme verzerrt zurück, und irgendwo hinter ihnen löste sich ein Stein von der Decke und fiel polternd zu Boden. Ein warmer Luftzug strich durch die Höhle, nicht die trockene, würgende Luft der Wüste, sondern feuchtwarmer Wind, der einen seltsamen, unangenehmen Geruch mit sich brachte.
Das Seil bewegte sich, und am Rande des hellen Kreises hoch über ihren Köpfen erschien ein winziger schwarzer Umriß.
»Zu langsam«, sagte Bernec gepreßt. »Wir sind zu langsam.«
Skar legte unwillkürlich den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben. Das Licht über ihnen schien bereits schwächer geworden zu sein. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.
»Ist das der einzige Eingang?« fragte er.
Bernec schüttelte den Kopf. »Es gibt Dutzende. Wenn wir etwas Glück haben, kommen wir rechtzeitig hinein.«
»Und dort unten?« Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf die nachtschwarze Finsternis hinter ihnen.
Bernec lachte leise. »Das weiß ich ebensowenig wie du, Skar. Es ist noch keiner zurückgekommen, der es bis hierher geschafft hat.«
»Gibt es einen Eingang, der näher bei Cearn liegt?«
»Sicher«, murmelte Bernec. »Aber dies ist der einzige, den ich kenne. Ganz davon abgesehen, daß es dir einigermaßen schwerfallen dürfte, hier unten die Himmelsrichtung zu finden. Aber darüber sollten wir uns den Kopf zerbrechen, wenn wir hier heraus sind. Jetzt müssen wir erst einmal eine Möglichkeit finden hineinzukommen.« Er trat zur Seite, als der nächste Mann den Überhang erreichte und sich die letzten Meter in die Tiefe fallen ließ.
Sie warteten ungeduldig, bis die Cearner nacheinander zu ihnen hinabgestiegen waren. Das Licht am oberen Ende des Schachtes war nun merklich schwächer geworden, und mehr als nur einmal bildete sich Skar ein, das Rauschen mächtiger Schwingen zu hören.
Aber sie wurden nicht behelligt. Del war der letzte, der sich am Seil zu ihnen hinabhangelte. Auch er sprang die letzten Meter, rollte sich ab und starrte dann nachdenklich nach oben. »Hat einer von euch zufällig eine Idee, wie wir wieder hinaufkommen?« sagte er ruhig. »Das Pferd wird kaum ruhig stehenbleiben, wenn unsere geflügelten Freunde auftauchen.«