Rings um ihn herum erstreckte sich eine wellige, von dunklen Schattentälern durchzogene See an Grün in allen nur denkbaren Schattierungen. Der tiefhängende Sternenhimmel verschmolz irgendwo im Westen mit dem Wald, und die Blätter schienen das Licht nicht zu reflektieren, sondern aufzusaugen. Skar stemmte sich ein Stück weiter nach oben und drehte den Kopf. Sie waren bereits tiefer in den Wald vorgedrungen, als er geglaubt hatte – die dünne, safrangelbe Linie der Wüste war nur noch als schmaler Strich vor dem nahegerückten Horizont zu erkennen; wenig mehr als die bereits halb verblaßte Erinnerung an einen Alptraum, der mit jeder Sekunde weniger real erschien. Er begann sich langsam im Kreis zu drehen, um einen möglichst umfassenden Eindruck von ihrer Umgebung zu erhalten. Der Wald mußte gewaltig sein –die dünne Wüstenlinie im Westen stellte die einzig sichtbare Begrenzung dar, in allen anderen Richtungen verschmolz der erstarrte grüne Ozean mit dem Himmel oder verlor sich irgendwo in unbestimmbarer Entfernung in wogenden Schatten. Ihre Vermutung, es mit einer, wenn auch gewaltigen, Oase zu tun zu haben, war falsch. Dies hier war das Ende der Nonakesh, eine gewaltige, von Leben strotzende Landschaft, die vor ihnen vielleicht noch kein Mensch betreten hatte. Diese oberste Ebene des Waldes war flach. Es gab schmale, an mit mathematischer Akribie gezogene Kanäle und Schluchten erinnernde Zwischenräume, die Flußläufe oder Lichtungen darstellen mochten, aber die Bäume schienen ausnahmslos in der gleichen Höhe gewachsen zu sein. Ein Umstand, der seinen Verdacht bestätigte. Die Gewaltigkeit des Waldes ließ den Gedanken zwar fast erschreckend erscheinen, aber er war zu regelmäßig, um noch natürlich zu erscheinen.
Skar hielt konzentriert nach Anzeichen menschlicher Besiedlung Ausschau, doch seine Suche verlief ergebnislos. Aber das hatte er bereits halbwegs erwartet. Unter dem saftigen grünen Dach des Waldes konnten sich ganze Königreiche verbergen. Jemand, der in der Lage war, so etwas zu erschaffen, war zweifellos auch dazu fähig, sich zu tarnen.
Skar zuckte enttäuscht die Schultern und begann vorsichtig von seinem Ausguck herunterzusteigen. Sie würden weiter auf ihr Glück und den guten Willen der Waldmenschen vertrauen müssen.
Del erwartete ihn mit offenkundiger Ungeduld. »Du warst verdammt lange dort oben«, sagte er verärgert. Er trat zurück, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben, als könne er etwas erkennen, was Skar verborgen geblieben war.
»Nun?«
Spar schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Gehen wir weiter«, sagte er anstelle einer direkten Antwort.
Del schürzte die Lippen. »Sehr gesprächig bist du nicht«, sagte er. »Ich – runter!«
Er sprang zur Seite und gab Skar gleichzeitig einen wuchtigen Stoß vor die Brust, der ihn zurücktaumeln und unsanft zu Boden stürzen ließ. Irgend etwas zischte mit häßlichem Geräusch durch die Luft und grub sich tief in den Stamm des Baumes, vor dem er gestanden hatte. Skar rollte über die Schulter ab, sprang auf die Füße, riß schützend den Arm vors Gesicht und riß gleichzeitig sein Schwert aus dem Gürtel.
Am gegenüberliegenden Waldrand glitzerte Metall. Der Wald erwachte von einer Sekunde zur anderen zum Leben. Ein großer, massiger Umriß erschien zwischen den Bäumen, stand eine halbe Sekunde lang reglos und schob sich dann auf die Lichtung hinaus.
Ein Reiter.
Del hob kampflustig sein Schwert und bewegte sich geduckt auf den Reiter zu.
»Nicht«, sagte Skar leise.
Del verstand. Er nickte unmerklich, blieb stehen und warf Skar einen nervösen Blick zu. Seine Lippen waren zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammengepreßt.
»Es ist sinnlos«, murmelte Skar. »Sieh dort hinüber.« Hinter dem ersten Reiter waren andere aus dem Wald gebrochen – sieben, acht, schließlich ein Dutzend. Und die schattige Dunkelheit dahinter mochte noch mehr bergen. Es waren die gleichen kleinen, zerbrechlichen Gestalten wie beim ersten Mal, aber sie wirkten entschieden gefährlicher als die braungekleideten Waldleute, die ihnen am Waldrand begegnet waren; klein, schmalschultrig und drahtig hockten sie mit einer Art selbstverständlicher Eleganz auf ihren Tieren, die sie wie mit den Sätteln verwachsen erscheinen ließ. Und die Reiter waren gepanzert. Schmale, liebevoll ziselierte Brustschilde schützten ihre Körper, Arme und Beine steckte in eng anliegenden Metallschienen, und die Gesichter verbargen sich hinter wulstigen Helmen, die ihre Köpfe bis auf die Schultern hinab bedeckten und nur einen schmalen, bis weit in die Schläfe hinaufgezogenen Schlitz über den Augen freiließen. Die Gesichtsmasken hatten die Form spitzer, nach vorne gezogener Rattenschnauzen.