Skar grinste zurück, setzte sich wieder auf und umschlang die Knie mit den Armen. Sein Blick tastete wieder über die dunkle, massive Wand des Waldes. Er fühlte sich innerlich frei•und entspannt wie schon seit langem nicht mehr. Die unbestimmbare Angst, die er beim Betreten des Waldes verspürt hatte, war verschwunden. Aber die Erinnerung daran war noch da. Skar wußte, daß die Hochstimmung, in der sie waren, trog und noch dazu gefährlich war. Das Wasser und die wenigen Augenblicke Ruhe, die sie gehabt hatten – weit weniger, als er bisher geglaubt hatte, wie ihm ein rascher Blick in den Himmel sagte –, gaukelten ihm eine Erholung vor, die es nicht gab. Er war immer noch erschöpft. Ein weniger gut trainierter Mann wäre unter den Belastungen der letzten Tage längst zusammengebrochen, und selbst er spürte, daß er sich den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bedenklich näherte. Er konnte nur hoffen, daß die Bewohner dieses Waldes – wer immer sie waren – sie freundlich aufnahmen. Weder er noch Del waren in der Lage, einen ernstgemeinten Kampf gewinnen zu können. Er stand auf und fuhr sich mit einer müden Bewegung durch das Haar. Dann begann er sich langsam und widerwillig anzuziehen; zuerst den Lendenschurz, dann die geschnürten Sandalen, zum Schluß den schweren, steinharten Lederpanzer. Sein Gewicht ließ ihn aufstöhnen, aber er wäre sich ohne ihn nackt und schutzlos vorgekommen. Er band seine Schärpe um, rammte das Schwert in die Scheide zurück und schlenderte langsam zu Del hinüber.
»Zieh dich an«, sagte er mürrisch, nachdem er ihm Harnisch und Sandalen vor die Füße geworfen hatte.
Del rührte sich nicht. »Warum so eilig?« fragte er. »Laß uns noch ein paar Stunden ausruhen. Ich bin müde.«
Skar schwieg gehorsam. Im Grunde hatte Del recht. Logisch betrachtet, war es Wahnsinn, jetzt weiterzugehen. Aber in ihm war noch immer diese seltsame drängende Unruhe, keine Furcht mehr jetzt, aber dafür ein immer stärker werdendes Gefühl der Unrast. Er spürte einfach, daß es besser war, so schnell wie irgend möglich von hier zu verschwinden.
Del deutete sein beharrliches Schweigen schließlich richtig. Er schüttelte ergeben den Kopf, angelte nach seinen Kleidern und begann sich umständlich im Sitzen anzuziehen. Hose und Umhang ließ er, Skars Beispiel folgend, achtlos liegen.
»Schade, daß wir unsere Wasserschläuche nicht mitgenommen haben«, murmelte er.
Skar rümpfte die Nase. Er hatte immer noch Durst, aber der faulige Geruch, den der Tümpel verströmte, hielt ihn davon ab, ihn zu stillen. »Wir werden schon Wasser finden«, sagte er mit gespielter Zuversicht. »Ich glaube nicht, daß dies der einzige See in diesem Wald ist.«
Del schnallte ungeschickt seinen Harnisch um und nickte. »Zur Not bitten wir jemanden um einen Krug Wein.«
»Ach? Und wen?«
Del deutete beiläufig auf den Waldrand hinter Skars Rücken.
»Vielleicht die dort«, sagte er beiläufig.
Skar brauchte eine halbe Sekunde, um seine Verblüffung zu überwinden und herumzufahren.
Hinter ihnen war ein halbes Dutzend kleiner, dunkel gekleideter Gestalten aus dem Wald getreten.
Skar schluckte verblüfft. Er hatte nicht das geringste Geräusch gehört. Die Männer mußten lautlos wie Geister aus dem Wald getreten sein – wenn es Männer waren. Das Licht war zu schlecht, als daß Skar ihre Gesichter hätte erkennen können, aber ihre Gestalten erschienen ihm auffallend schmal und zerbrechlich. Eher wie die von Frauen oder Knaben. Sechs oder acht – eine stumme Reihe, kaum eine Armeslänge vor dem Waldrand und mindestens ebenso verblüfft wie er.
»Wir sollten unsere . . . Besucher begrüßen«, sagte Del stockend.
Skar brachte ihn mit einer unwilligen Geste zum Schweigen. Die Fremden waren beim Klang von Dels Stimme sichtlich zusammengezuckt. Eine vage, im einzelnen nicht zu erkennende Bewegung ging durch die Reihe. Einer von ihnen sagte etwas und bewegte dazu die Hände. Seine Stimme klang dumpf, die Sprache war schnell und unverständlich.
Skar löste sich endlich aus seiner Erstarrung, breitete die Arme aus und drehte die leeren Handflächen nach außen. Die Geste sollte beruhigend wirken, aber er erreichte genau das Gegenteil. Erst einer, dann wandten sich in rascher Folge alle anderen Fremden zur Flucht und verschwanden so lautlos im Wald, wie sie aufgetaucht waren.