Eine Gruppe Berittener preschte so dicht an ihm vorüber, daß er unwillkürlich den Kopf einzog und einen Schritt zur Seite wich – sieben, acht Mann auf stämmigen Pferden, in wuchtige Panzer gehüllt und mit Schilden und übermäßig langen, biegsamen Spießen bewaffnet. Skar blickte ihnen nach, bis sie durch die Öffnung in der äußeren Dornenhecke verschwunden waren. Ein Trompetensignal erscholl von einem der Wachtürme und wurde wenig später von irgendwo jenseits der Hecke erwidert. Die Reiter schienen ihre Tiere rücksichtslos durch das Unterholz zu treiben, denn Skar konnte das gedämpfte Brechen und Bersten noch lange Zeit hören, nachdem sie durch das Tor verschwunden waren. Er legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zum Himmel hinauf. Die Sonne brannte noch immer als grellroter Feuerball an einem strahlend blauen, wolkenlosen Firmament, und die Hitze stieg hier, wo die Bäume nur wenig Schutz gegen ihre unbarmherzigen Strahlen boten, merklich an. Weit im Westen glaubte er eine Anzahl winziger schwarzer Punkte über dem Wald auszumachen, und für einen Moment mußte er wieder an die Hoger denken. Aber es mochten auch normale Vögel sein; sicher sogar. Skar konnte sich nicht vorstellen, daß die Bestien auch am Tage auf Beutejagd gingen. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht einmal die Hoger wirklich vorstellen. Die dünne rote Narbe an seiner Seite und der pochende Schmerz, der entgegen all seiner Beteuerungen noch immer in seinen Rippen wühlte, bewiesen ihm jedoch, daß er alles wirklich erlebt und nicht bloß geträumt hatte. Und doch erschienen ihm der Kampf auf der Lichtung und der Tod der beiden jungen Mädchen mehr und mehr wie ein bizarrer Alpdruck. Irgend etwas daran kam ihm falsch und irreal vor, schon während des Kampfes und jetzt, aus der Distanz von mehreren Tagen betrachtet, noch stärker. Es war nicht einmal die Größe der Gefahr gewesen – Del und er hatten schon gegen schlimmere Bestien bestehen müssen –, sondern die Art der Bedrohung. Er kannte alle Monster, die Enwor zu bieten hatte, und es waren Scheußlichkeiten darunter, gegen die selbst die Hoger wie harmlose Vögel erschienen, und doch war da etwas, irgend etwas, das er sich selbst nicht erklären konnte und das doch wie ein bizarrer Alp hinter seinen Gedanken lauerte – das ihn schaudern ließ. Die Hoger erschienen ihm (er wußte, daß das Wort nichts erklärte und im Gegenteil noch mehr Fragen aufwarf, und doch war es das einzig Zutreffende) falsch. Er hatte es gespürt, als er ihnen gegenübergestanden hatte, und das Gefühl war seither nicht schwächer geworden. Als er in die gräßliche Visage des Untieres gesehen hatte, hatte er für einen winzigen, schrecklichen Augenblick das Gefühl gehabt, einen Blick in eine feindselige, unsagbar fremde Welt zu tun. Ein Wesen wie ein Hoger durfte einfach nicht existieren, weder hier noch sonst irgendwo auf Enwor. Für einen Augenblick fragte er sich ernsthaft, ob die Hoger wirklich existierten, lebten. Aber wenn sie es taten, dann auf eine ganz, ganz andere Art als alles, dem er bisher begegnet war. Ein zaghaftes Zupfen am Arm riß ihn aus seinen Überlegungen. Skar drehte sich herum und erkannte einen vielleicht zehnjährigen Jungen, der sich ihm von hinten genähert hatte und nun aus eng zusammengekniffenen Augen zu ihm emporstarrte, den Kopf in den Nacken gelegt und die Hände in die Seiten gestemmt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er hatte Angst, das war deutlich zu erkennen, aber er schien auch Neugierde zu verspüren, und sein Wissensdurst war – zumindest im Moment noch –größer als die Furcht. Skar lächelte unsicher. Er hatte nie viel für Kinder übrig gehabt – nicht daß er sie nicht mochte oder gar haßte, aber er konnte nichts mit ihnen anfangen, und ihre Gegenwart machte ihn unsicher, und wenn er ihnen überhaupt Empfindungen entgegenbrachte, dann höchstens die, daß sie ihm lästig waren oder schlicht auf die Nerven gingen –, aber irgendwie gefiel ihm der Kleine. Er ging in die Hocke, streckte den Arm aus und strich dem Knaben zögernd über den Kopf; eine Art der Zärtlichkeit, die gerade jungen in diesem Alter zuwider war, wie er genau wußte, aber es war die einzige Art, Zuneigung auszudrücken, zu der er überhaupt fähig war. Der Knabe wich hastig einen Schritt zurück und blieb abermals stehen. Seine dunklen, wachen Augen glitten an Skars Körper herab und musterten ihn unverhohlen, und seine Haltung war ganz so, als erwarte er eine bestimmte Reaktion.
»Hallo«, sagte Skar unbeholfen. »Wie . . . wie heißt du, Kleiner?«
Sicher verstand der Junge nicht, was Skar sagte, aber er schien zumindest den ruhigen Klang seiner Stimme richtig zu deuten. Skar lächelte erneut, legte die Hand auf die Brust und sagte laut und mit deutlicher Betonung: »Skar.« Dann deutete er mit fragendem Gesichtsausdruck auf den Jungen.
Der Knirps überlegte einen Moment. »Cornec«, sagte er triumphierend.
»Dein Name ist Cornec?« wiederholte Skar.