Der Knabe nickte. »Cornec.« Er kam wieder einen Schritt näher, deutete auf Skar, auf sich und die umliegenden Bäume. »Cornec, Skar; Went«, sagte er. »Cearn!«
Skar sah auf, als ein Schatten zwischen ihn und den Jungen fiel. Thoranda hatte ihr Gespräch beendet und war unbemerkt zurückgekommen. Sie lächelte sanft, sagte etwas in ihrer raschen, dunklen Sprache zu dem jungen und deutete mit einer Kopfbewegung auf Skar. Der Junge nickte, antwortete ebenso rasch und ging dann mit schnellen Schritten davon.
»Ich hoffe, du hast ihn nicht gescholten, daß er mit mir geredet hat«, sagte Skar, als er aufstand. In Wirklichkeit war er froh, daß der Junge gegangen war, aber er hatte das Gefühl, daß es im Moment besser war, seine wirklichen Empfindungen zu verbergen. Es war manchmal sehr leicht, die Gefühle dieser Menschen zu verletzen, das hatte er bereits gelernt.
»Natürlich nicht«, antwortete Thoranda. »Wir verbieten unseren Kindern nichts, Skar.« Sie schüttelte den Kopf, als hätte er etwas ungemein Dummes gesagt. »Ich habe ihm nur erklärt, daß er sich noch ein wenig gedulden muß, mit dir zu reden.«
Sie lachte leise. »Er streicht seit Tagen um das Haus herum und versucht, einen Blick auf die beiden Helden zu erhaschen, die Coar mitgebracht hat. Und nicht nur er. Dein Freund und du seid bereits zu Idolen geworden, Skar. Wenigstens«, fügte sie lächelnd hinzu, »bei unseren Kindern. Heldentaten sprechen sich rasch herum.«
»Helden?« machte Skar zweifelnd.
»Es sind Kinder, Skar«, sagte Thoranda, als wäre dies Erklärung genug für alles.
»Coars Bericht hat großes Aufsehen hervorgerufen. Man spricht viel über euch, vor allem über dich. Aber ich fürchte«, wechselte sie übergangslos das Thema, »du wirst deinen Besuch bei Larynn noch ein wenig verschieben müssen. Logar verlangt nach dir. Eines der Mädchen, mit denen ich sprach, war gerade auf dem Weg zu uns, um dich zu rufen.« Sie stockte, blieb mitten im Schritt stehen und sah Skar einen Herzschlag lang nachdenklich an. »Wenn du willst, lasse ich ihm ausrichten, daß du noch nicht kräftig genug dazu bist«, sagte sie.
Skar lehnte das überraschende Angebot mit einem dankbaren Kopfschütteln ab.
»Danke, Thoranda. Aber . . . ich bin froh, mit ihm reden zu können. Mein erstes Treffen mit ihm war nicht sehr aufschlußreich. Ich hätte sowieso darum gebeten, zu ihm gebracht zu werden. Ich muß endlich wissen, woran ich bin.«
Thoranda nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Dann laß uns gehen.«
Er hatte unbewußt damit gerechnet, daß Thoranda ihn wieder zu jenem steinernen Gebäude zurückführen würde, in dem er Logar das erste Mal begegnet war, aber die Heilerin wandte sich nach Westen und geleitete ihn durch die Randbezirke der Stadt zu einer Stelle, an der in einer Lichtung ein flacher, annähernd runder See unter der Sonne glänzte. Im ersten Augenblick glaubte er, es mit einem stehenden Gewässer zu tun zu haben, da er weder Zu- noch Abfluß entdecken konnte, aber das Wasser war zu klar dafür, und nach wenigen Augenblicken entdeckte er am jenseitigen Ufer einen winzigen sprudelnden Katarakt, dessen beständiges Plätschern und Rauschen sich wie eine murmelnde zweite Stimme in das Raunen des Blätterdaches mischte. Thoranda deutete auf eine schlanke, dunkelhaarige Gestalt, die auf einer steinernen Bank saß, und blieb stehen. »Er erwartet dich.«
»Du kommst nicht mit?« fragte Skar enttäuscht. Ohne daß er es sich selbst gegenüber bisher eingestanden hatte, erfüllte ihn Thorandas Gegenwart mit einem wahrscheinlich unbegründeten, aber trotzdem beruhigenden Gefühl der Sicherheit. Obwohl sie nicht mehr als eine alte Frau war, war ihm der Gedanke, auf den Schutz ihrer Anwesenheit verzichten zu sollen, unangenehm.
Thoranda verneinte. »Meine Aufgabe ist das Heilen«, sagte sie sanft, aber auch ein wenig tadelnd, »nicht das Reden. Aber du brauchst keine Furcht zu haben. Logar wird dir nichts tun.« Jetzt sprach sie wirklich wie eine Mutter mit ihm, dachte er, eine Mutter, die einem verängstigten Kind Mut zusprach. Aber genau so fühlte er sich im Moment auch – nicht verängstigt, aber verunsichert und verwirrt in einem Maße wie selten zuvor in seinem Leben.
Erfuhr mit einem Ruck herum und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Bank zu, auf der Logar ihn erwartete. »Du wolltest mich sprechen.«
Logar sah auf. Für einen Moment schien er verwirrt, dann lächelte er in einer sanften, ehrlichen Art, die Skar in diesem Augenblick am allerwenigsten erwartet hätte. »Wie geht es dir?« fragte er anstelle einer direkten Antwort. Er rutschte ein Stück zur Seite und machte eine einladende Geste, die Skar absichtlich übersah. Plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, ärgerte ihn Logars Verhalten. Jedermann in dieser Stadt schien bemüht, ihn freundlich und zuvorkommend zu behandeln, aber gerade das ärgerte ihn noch mehr.
»Ich fühle mich gut«, antwortete er gereizt. »Du hättest dir keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, mir die Kehle durchzuschneiden.«